Wir, Olga Neuwirth als Komponistin und Elfriede Jelinek (nach Leonora Carrington) als Librettistin, haben im Auftrag der Wiener Festwochen und in Gemeinschaftsproduktion mit der Opéra du Rhin, eine Oper verfertigt, „Bählamms Fest“, an der die Komponistin zwei Jahre lang jeden Tag kontinuierlich gearbeitet hat. Kurz und gut: die Wiener Aufführung fand statt. Alle beteiligten Interpreten hatten ihre Verträge für die geplanten fünf Straßburger Vorstellungen in den Taschen, sich natürlich die entsprechende Zeit frei gehalten, anderweitige Engagements mit gutem Gewissen verweigert und schickten sich nun guten Muts an, mit den Proben für die Aufführungsserie in Frankreich zu beginnen. Doch was passiert? Eine Woche vor Probenbeginn: Aus. Schluss. Ende vor Anfang.
Oper findet oft auch statt, wenn sie gar nicht stattfindet. Man regt sich über die Nicht-Oper so auf, dass der Zuschauer von außen meint, eine Oper zu erleben, voller Empörung und Leidenschaft. Hier empören sich in einem Brief zwei Künstlerinnen über ein französisches Opernhaus, das viel Geld in eine Kooperation mit den Wiener Festwochen steckt und dann (angeblich) kein Geld mehr hat, um das gemeinsame Werk nachzuspielen. Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek finden das Verhalten der Straßburger Oper, wie wir finden: zu Recht empörend. Anders und doch ähnlich verhält es sich im Fall Stockhausen. Die Bonner Oper, vom Ehrgeiz gepackt, will Stockhausens letztes „Licht“-Stück uraufführen und erkennt dann plötzlich, dass sie sich dabei vermutlich verheben könnte. Stockhausen ist eben anspruchsvoll. Das sollte man eigentlich vorher wissen. Wir, Olga Neuwirth als Komponistin und Elfriede Jelinek (nach Leonora Carrington) als Librettistin, haben im Auftrag der Wiener Festwochen und in Gemeinschaftsproduktion mit der Opéra du Rhin, eine Oper verfertigt, „Bählamms Fest“, an der die Komponistin zwei Jahre lang jeden Tag kontinuierlich gearbeitet hat. Kurz und gut: die Wiener Aufführung fand statt. Alle beteiligten Interpreten hatten ihre Verträge für die geplanten fünf Straßburger Vorstellungen in den Taschen, sich natürlich die entsprechende Zeit frei gehalten, anderweitige Engagements mit gutem Gewissen verweigert und schickten sich nun guten Muts an, mit den Proben für die Aufführungsserie in Frankreich zu beginnen. Doch was passiert? Eine Woche vor Probenbeginn: Aus. Schluss. Ende vor Anfang. Das offenkundig vor der plötzlichen Verarmung stehende Opernhaus von Straßburg kann die Produktion nicht herausbringen, weil ihm 200.000 Mark fehlen. Eine ungeheure Summe, ich will sie mir gar nicht vorstellen müssen, ich muss mir schon viele andere Sachen vorstellen, die alle zusammen auch schon ziemlich unglaubwürdig sind und die ich meinen Lesern trotzdem irgendwie verkaufen muss. Aber solche Sachen passieren wirklich!Es wird eine fertige Produktion vom Co-Partner (man weiß, dass neues Musiktheater ohne Co-Produktionen kaum noch möglich ist, aber man sollte sich vielleicht auch darauf verlassen können, dass der Partner nicht aufsteht und weggeht, bevor er sich überhaupt ins gemachte Bett gelegt hat) wie Müll aus dem Programm gekippt, wir wollen aber wenigstens Sondermüll sein, wenn man uns schon buchstäblich sang- und klanglos entsorgen will! Eines der größten Opernhäuser Frankreichs, hochsubventioniert mit öffentlichen Geldern, das schon soviel Geld in diese Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen investiert hat, „muss“ wegen 200.000 Mark eine ganze fix geplante Serie von Aufführungen einfach abblasen. In den Wind schießen. Außer Spesen nichts gewesen, sagt man in Deutschland, gibt es in Frankreich ein ähnliches Sprichwort? Sicher! Die Straßburger Oper muss nun sämtliche Beteiligte, Musiker, Sänger, Dirigent, Elektroniker, Regisseur, Tänzer, alle alle ausbezahlen, ohne dass sie irgend etwas davon hat.
Sind wir Glasmurmeln, mit denen man herumschieben kann, wie es einem passt? Sind wir lebende Tote, über deren Köpfe hinweg man Dinge entscheiden kann, als ob wir, und nicht nur wir, alle an dem Projekt Beteiligten, die ja bereits etliches an Arbeit und Lebenskraft investiert haben, eben wirklich schon unter der Erde wären? Und wären wir es, würde man wahrscheinlich respektvoller, um nicht zu sagen: pietätvoller mit uns umgehen. Ist unsere Arbeit so schlecht und uninteressant, dass man lieber große Summen bezahlt, damit sie nicht aufgeführt werden muss? Kann man in Straßburg einfach gutes Geld anderem guten Geld hinterher schmeißen, ohne dass man etwas dafür bekommt? Vielleicht damit wenigstens das Geld sich nicht langweilt, weil es Gesellschaft bekommt, ohne selbst auch arbeiten zu müssen? Können die sich das dort leisten? Sieht ganz so aus. Gar keine Vorstellung scheint besser zu sein als alles, jedenfalls besser als Vorstellungen. Vorstellungen scheint man sich dort keine zu machen, was so etwas für Künstler bedeutet.
Vier Millionen österreichische Schillinge hat Straßburg in das Projekt gesteckt, damit sie es jetzt nicht zeigen müssen. Haben sie schon vorher gewusst, dass sie es nicht zeigen werden? Weiß das der französische Steuerzahler? Gibt es in Frankreich ein Gesetz, das verlangt, Gelder, die für Kunst bestimmt sind, gleich aus dem Fenster zu werfen, wo noch viel mehr gute Luft ist, von der die Künstler ja bekanntlich leben? Will man auf diese etwas extravagante Weise die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler fördern? Indem man sie bezahlt, damit man ihre Werke nur ja nicht vorstellen oder aufführen muss? Vielleicht bezahlt ihr uns das nächste Mal schon vorher, damit wir gar nicht erst anfangen müssen zu arbeiten, wir würden uns viel Zeit ersparen, und für den französischen Staat wäre es doch offenbar dasselbe: sie zahlen, um nichts zu bekommen, anstatt dass sie zahlen, um etwas zu bekommen. Vielleicht wird das jetzt überall so Brauch, wer weiß? Wir Künstler sind nicht nur nichts mehr wert, wir sind sogar weniger Wert als nichts!
(Der Brief wurde von der Redaktion leicht gekürzt)