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Rückblende - 1922
Rückblende - 1922
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Vor 100 Jahren (1922/04)

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Musikalien: Johann Wyschnegradsky
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Johann Wyschnegradsky: Kompositionen im Vierteltonsystem. (Manuskripte ohne Opuszahl) 1. Méditation, für Violoncello und Klavier. 2. Chant douloureux und Etüde, für Violine und Klavier. 3. Präludium, Tanz und Humoreske, für das zweimanualige Viertelton-Klavier.

Viel Talent, viel Mut! So mein Gesamturteil. In Nr. 1 und 2 bringen nur das Cello und die Violine Vierteltöne. Diese beiden Sachen hätten daher wohl zunächst auf eine Aufführung zu rechnen, denn außer Wyschnegradsky und mir besitzt kein Mensch ein Tasteninstrument mit Vierteltönen. […]  Dem Cellisten dürfte dabei, der weiten Mensur seines Instrumentes entsprechend, die geringste technische Arbeit zufallen. Der Geiger hätte allerdings manch härtere Nuß zu knacken. Doch: beide Werke lohnen jedenfalls der Mühe. Sie sind voller Stimmung und, an manchem Werk unserer übrigen Jüngsten gemessen, nicht exaltiert modern gehalten, von den Vierteltönen natürlich abgesehen. Von Nr. 3 gefällt mir am besten die Humoreske. Dies Stück ist technisch auch wohl das schwerste der drei. Hei, da flimmert’s und schwirrt’s und blitzt’s und funkelt’s!

Leider bin ich nicht genug Wortjongleur und Begriffsequilibrist, um auch nur den Versuch zu wagen, den Eindruck dieser Musik sich ein wenig in meiner Darstellung widerspiegeln zu lassen. Zudem bin ich der Ansicht, dass auch hier schließlich nur die Tat, d.h. die Wiedergabe des Werkes alles ist. Dazu wäre aber erst noch eine andere Tat nötig: der Bau eines konzertfähigen, bichromatischen Klaviers. Wird es jemals gebaut werden? Die Feindschaft zwischen dem Kapitalismus der Klavierfabrikanten und dem Idealismus des Erfinderindividuums ist leider immer noch ein riesengroßes, weil nur zu natürliches Hindernis. Wird es der junge russische Tonsetzer Wyschnegradsky schließlich überwinden? Wir wollen es hoffen! Sein doppelmanualiges Klavier (das Obermanual bringt auf den üblichen Tasten die Vierteltöne), das ihm eine Pariser Firma gebaut, genügt jedenfalls nicht, und mein einmanualiges bichromatisches Harmonium ist doch eben trotz all seiner Konzertfähigkeit immer ein – Harmonium!

Willi Möllendorff, 43. Jg., 20. April 1922

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