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Vor 100 Jahren: Die Mission unserer Hausmusik

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Über den „Dilettantismus“ und seinen Wert
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Wer die große Bedeutung guter Hausmusik hervorhebt, der wird oft eine hochmütige Ablehnung erfahren und das absprechende Wort „Dilettantismus“ zu hören bekommen, womit viele – Berufsmusiker wie Nichtmusizierende – alles sogenannte unkünstlerische Musizieren so leicht und gern abtun. Mit Unrecht! Sie verkennen das Wesen einer rechten Musikpflege im Hause, die gar hohe Werte in sich schließt.

Der Begriff Dilettant hat überhaupt unverdientermaßen einen übeln Beigeschmack bekommen; denn er bedeutet ja: Kunstliebhaber und bezeichnet solche, die eine Kunst aus innerer Zuneigung betreiben, äußere Vorteile aber von ihr nicht verlangen. Im gleichen Verhältnisse stehen auch die Laien zu ihr; während die Berufskünstler oder Artisten ihren Lebensunterhalt durch sie gewinnen. Bei wem also kommt die reinere Kunstliebe eigentlich zum Ausdrucke?! […]

Wohl aber dem Künstler, wenn er das, was ihn als Laien und Dilettanten erfüllte, sich auch noch als Artist bewahrt hat; und das will sagen: die heilige Liebe zu seiner Kunst. Diese, die das Gefühlsleben des Kunstliebhabers ganz ausfüllt, geht in der Ehe des Artisten mit seiner Kunst leicht unter. Kein Wunder, da er ja die Kunst nicht mehr aus dem Gemüt heraus, sondern mehr mit dem Verstande betreibt. […]

Heute aber, nachdem der furchtbare Weltkrieg endlich überstanden ist, tritt die gleiche Aufgabe, und zwar noch im verstärkten Maße, an unsere Tonkunst heran: das niedergebrochene deutsche Volk wieder aufzurichten und seine wunde Seele mit heilen zu helfen. Solches vermag ja unter allen Künsten keine besser, wie die holde Trösterin Musik mit ihrer milden, beruhigenden Tonstimme. […]

Ringen wir uns daher zu der Einsicht durch, daß wir zwar mit unseren wirtschaftlichen Unternehmungen nicht nachlassen dürfen, unser Volk materiell sicher zu stellen, daß wir aber auch unsere geistigen Bestrebungen weiter verfolgen sollen, um die höchste Idee des Lebenswillens zur Geltung zu bringen, die nach einer zunehmenden Veredelung der Menschheit trachtet. Klingt dieser große Gedanke nicht aus den schönsten Werken unserer Tonmeister wider? […] Diese hohe Mission durchzuführen, liegt vor allem unserer Hausmusik ob, da sie ebensowohl nach unten die Volkskunst wie auch nach oben die Hohekunst günstig beeinflussen kann. […]

R. Hübner, Neue Musik-Zeitung, 41. Jg., 1. Juli 1920

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