Hauptrubrik
Banner Full-Size

Vor 100 Jahren: Hans Gál

Untertitel
Rückblende: 1921
Publikationsdatum
Body

Mit den vorliegenden Zeilen möchte ich einen jungen Wiener Komponisten zu fördern suchen, dessen Name in seiner Vaterstadt bereits einen guten Klang hat, der jedoch im Reiche noch nicht die verdiente Aufmerksamkeit erregt hat. […] Hans Gál gehört nicht dem Kreise der Wiener radikalen Modernen an, sondern ist dem Wesen nach ein Fortsetzer der klassischen und romantischen Meister. Damit ist nicht etwa gesagt, dass er ausgetretene Wege wandelt; vielmehr ist Gál bei voller Beherrschung des modernen harmonischen und Orchesterapparates eine in ihren künstlerischen Wirkungen zurückhaltende Natur, der im Gegensatz zu vielen seiner Wiener Zeitgenossen sowohl in den Mitteln als auch im Ausdruck jede unbegründete Übertreibung meidet. […]

Will man die charakteristischen Momente der Gálschen Kompositionstechnik erfassen, so erscheint vor allem sein besonders entwickeltes Empfinden für lebendige Rhythmik bemerkenswert. Gáls Rhythmik beschränkt sich nicht allein auf die Gliederung der Oberstimme, sondern muß vielmehr als Polyrhythmik bezeichnet werden, indem der ganze polyphone Apparat nicht nur melodisch, sondern vor allem rhythmisch individuell gegliedert ist, so dass die einzelnen Stimmen manchmal verschiedene Metren aufweisen. Auch im Horizontalen zeichnet sich die Linie durch den lebhaftesten Wechsel verschiedener Metren aus.

Die Harmonik Gáls ist bei aller Freiheit in der Modulation und Verwendung aller modernen harmonischen Errungenschaften eine durchaus tonale, d. h. trotz Vorkommen tonalitätsfremder Harmonien sind die harmonischen Funktionen der klanglichen Einheiten dem aufmerksamen Hörer deutlich erkennbar. Die wesentliche Seite des Gálschen Schaffens aber ist die Melodie. […] Hierbei knüpft Gál oft an Melodien des Volkes an, wie er überhaupt, z. B. in den serbischen Weisen dem Volksleben und Volkston das größte Interesse und Verständnis entgegenbringt. […] Der Orchestersatz, den Gál in allen Feinheiten beherrscht, bevorzugt einerseits sattes Kolorit, macht jedoch von solistischen Wirkungen gerne Gebrauch.[…]

  • Paul Nettl, Neue Musik-Zeitung 43. Jg., 15. Dezember 1921

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!