Bayerns Christsoziale sind konsterniert. Ein Künstler hat ihnen die Leviten gelesen, man muß sagen: ausgerechnet ein Künstler, und noch dazu ein Star seines Metiers. Ein Musiker wurde zum Protestanten gegen eine alarmierend rabiate Politik, gegen einen von der Sache wie vom Verfahren her geradezu rücksichtslosen Griff nach noch mehr medienpolitischer Macht. Rafael Kubelik heißt der Künstler, der sich nicht zu schade und verantwortlich genug fühlte, um auch ins Feld der Tagespolitik zu treten. […]
Rafael Kubelik möchte sich zweifellos dem Orchester, das unter seiner Leitung einen erstaunlichen Aufschwung nahm, gern auch weiterhin verbinden. Aber er will eben nicht länger maßgeblicher Angestellter einer „öffentlich-rechtlichen“ Anstalt sein, die künftig laut Gesetz über den Verwaltungsrat von der konservativen Mehrheitsfraktion des Landtags mehr denn je in ihrem Sinn kontrolliert werden kann; und deren Hauptabteilungsleiter nur noch auf fünf Jahre berufen werden sollen, um ihr Wohlverhalten unter den Augen der im Land regierenden (und darum geradezu umgekehrt auch vom Rundfunk zu kontrollierenden) Partei zu garantieren.
Der 57 Jahre alte Rafael Kubelik sah, was da im Handstreich geschah: Unterwanderung einer gewiß komplizierten demokratischen Konstruktion mit brutalen parlamentarischen Mitteln, also sozusagen nur oberflächlich legaler Gewalt. Und der tschechische Dirigent, der auch schon gegen den Nationalsozialismus und den Einmarsch in die Tschechoslowakei von 1968 spontan reagiert hatte, zog aus dieser Erkenntnis eine Konsequenz, die auch Leute nachdenklich machen dürfte, die der christsozialen Rundfunkpolitik in Bayern bisher desinteressiert gegenüberstanden: Leute also auch, die ihre CSU immer noch für genügend vernünftig und maßvoll halten. […]
Dietmar N. Schmidt, Neue Musikzeitung, XXI. Jg., Nr. 2, April/Mai 1972