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Vor 50 Jahren in der nmz.
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Vor 50 Jahren: Philharmonische Fronten (1971/05)

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Zehn Uraufführungen zum Dürer-Jahr in Nürnberg
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[…] Schon im ersten Konzert stieß Klaus Hashagens „Die vier Apostel“ auf den handfest in Sprechchören sich organisierenden Widerstand. Der Verein „Rettet Dürer“ kündigte alsbald ein eigenes Konzert mit würdigerer Dürer-Festmusik an. Und beim dritten Konzert der Reihe mit einem neobarocken, höchst erfolgreichen Orgelkonzert von Harald Genzmer und den minimal-impressionistischen Orchesterskizzen „Stille und Umkehr“ von Bernd Alois Zimmermann – ausgerechnet sie wurden gleichsam ausgehustet – war vor allem angesichts der überdimensionalen Wortkomposition „… inwendig voller Figur…“ von dem Schweizer Klaus Huber mit massiven Störungen zu rechnen.

Offenbar hatte man Huber deswegen um einen Vorspruch gebeten. Darin bekannte er sich zu der Tradition apokalyptischer Visionen von den biblischen und sibyllinischen Weissagungen bis zu Dürers Traumgesicht. Für Huber ist das aber kein historisches Thema. Eine noch dazu von Menschen ausgelöste Weltkatastrophe sei noch nie so sehr in den Bereich des Möglichen gerückt wie heute. Das Thema gehe jeden an. Und insofern sei seine Musik für jeden verständlich.

Trotz dieser Vorbereitung – ein Konzertgespräch war vorausgegangen, der Text einschließlich Übersetzung dem Programmheft beigelegt – hat das Stück selbst nachdrücklich schockiert: Durch ein Äußerstes an Klangballung und Schärfe, durch fast vollkommenen Verzicht auf Vermittlung, durch harte, blockhafte Formkontraste. Über Mikrofone verstärktes Flüstern, Soloensembles, Chortutti, mit Blech gesättigtes Orchester und auf Tonband aufgenommene, in maximaler Lautstärke von allen Seiten in die Meistersingerhalle geblendete Aggressivchöre sind in ein großräumiges Gleichgewicht gebracht. Einziger aktueller Bezug ist ein hörbarer Countdown. Sonst stammen die Texte aus der Bibel und von Dürer. Alle Grade zwischen Verständlichkeit und totaler Zerfetzung sind benutzt. Am ehesten ließen sich die Momente des Ausgleichs der Proportionierung, auch die Vergeblichkeit einer künstlerischen existentiellen Äußerung überhaupt angesichts dieses eminent politischen Themas kritisieren.

Die Aufführung selbst […] verlief ungestört. Doch wurde sie von einer starken Minderheit ausgepfiffen und ausgebuht. Und der Sekt und das Vanilleeis mit heißen Himbeeren fand zwei Minuten später im Foyer ebenso reißenden Absatz, wie sonst auch. Doch wenn der Eindruck der lebhaften Pausendebatten nicht trügt, dann ist Huber mit dem Stück und seinem Bekenntniswort der Einbruch in alle Altersschichten gelungen.

R.O., Neue Musikzeitung, XX. Jg, Nr. 2 April/Mai 1971

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