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Wenn es vom Bildschirm klingt

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Bremer Tagung „The Look of the Sound – Musik im Fernsehen der Zukunft“
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Musik ist im Fernsehen so allgegenwärtig, dass man sich fragen mag, was es denn da überhaupt noch zu entdecken oder gar zu diskutieren geben könne. Kein Action-Film, keine Space Opera ohne „passende“ klangliche Untermalung, kein Naturfilm ohne seichte ökologische Kuschelmusik, kein Werbespot ohne begeistert krähenden Tortenchor – die Stille kommt fast nur vor, um die nächste Klangwoge entsprechend vorzubereiten.

Musik ist im Fernsehen so allgegenwärtig, dass man sich fragen mag, was es denn da überhaupt noch zu entdecken oder gar zu diskutieren geben könne. Kein Action-Film, keine Space Opera ohne „passende“ klangliche Untermalung, kein Naturfilm ohne seichte ökologische Kuschelmusik, kein Werbespot ohne begeistert krähenden Tortenchor – die Stille kommt fast nur vor, um die nächste Klangwoge entsprechend vorzubereiten. A llerdings ist die Musik hier ausschließlich „Gleitmittel“, hat keinen Eigenwert. Das ist schon anders, wenn Opern- oder Konzertereignisse übertragen werden. Da dient gewiss- ermaßen das Bild der Musikvermittlung, zeigt nicht nur das Kunstwerk an sich, sondern auch dessen Hervorbringung. Die ästhetisch höchste Form aber sind solche Filme, in denen die Musik selbst zum Thema wird und die bildliche Darstellung etwas aufzeigt, was der Klang allein nicht würde leisten können; hier entsteht gleichsam etwas Drittes, eine eigene Kunstform.

Und genau um dies ging es bei einer Tagung, die vom 18. bis 21. April 2002 in der Galerie Katrin Rabus in Bremen stattfand und Fernsehredakteure, Filmemacher und Medienjournalisten zusammenbrachte: „The Look of the Sound – Der Blick auf den Klang. Musik im Fernsehen der Zukunft“.

Beweggründe hatte die kulturpolitisch aktive Galeristin – sie saß jahrelang im Programmbeirat des Kulturkanals „Arte“ und ist jetzt in ähnlicher Funktion bei der ARD tätig – aus eigener Anschauung eine Menge: ein Gedankenaustausch dieser Breite hatte bisher nicht stattgefunden, und die Repräsentanz von Musikfilmen im Fernsehen scheint recht unansehnlich zu sein, was die Mediengewaltigen gern mit der „Einschaltquote“ begründen. Die Veranstaltung – unter enormem Publikumszuspruch – vereinte Theorie und Praxis ideal: Eine Reihe von in den letzten Jahren international preisgekrönten Musikfilmen wurde auf Großleinwand und in Anwesenheit der Regisseure vorgeführt, dazu gab es eine Videothek in drei benachbarten Räumen, wo weitere Filme ausgesucht werden konnten; zwei Live-Konzerte mit dem Amati-Quartett, das Mozarts „Dissonanzen-Quartett“ und Lachenmanns „Gran Torso“ vorführte, und mit einer vom Trompeter Uli Beckerhoff zusammengebrachten Jazzformation mit ungemein anregenden Improvisationen (und im Anschluss daran Jazz-Doku-Filmen aus Beckerhoffs Sammlung) repräsentierten die „Musik an sich“.

Ein Workshop mit dem Regisseur Jonathan Haswell und dem Musikwissenschaftler Ulrich Mosch (Paul Sacher Stiftung Basel) sowie zwei Diskussionsrunden sorgten für Reflexion und oft auch provozierende Debatten.

Eindrucksvoll unter den vorgeführten Filmen waren von Jonathan Haswell „Rite of Spring“ über Strawinskys Jahrhundert-Klassiker, Probenszenen, Einführung mit maßvoller Didaktik und Gesamtaufführung, Bettina Ehrhardts „Eine Kielspur im Meer...Abbado.Nono.Pollini“, Erinnerungen an den venezianischen Komponisten Luigi Nono verbunden mit Bildern und Klängen aus der morbid-schönen Lagunenstadt, „Musik für 1000 Finger – Conlon Nancarrow“ von Uli Aumüller, ein sensibles Porträt dieses komponierenden Einsiedlers und seiner Lochstreifen-Apparaturen, auf denen er seine „Studies for Player Piano“ produzierte, und von Bruno Monsaingeon „L’art du violon“ mit Doku-Aufnahmen der großen Geiger des 20. Jahrhunderts, jeweils kommentiert von heutigen Virtuosen, ein von der Machart her simpler, aber gefühlsmäßig einnehmender Film über eine unwiederbringliche Epoche.

„Musik im Fernsehen der Zukunft“, die programmatische Hauptgesprächsrunde, wurde von Klaus Wenger (Arte Deutschland) moderiert. Wenn Günter Struve (Programmdirektor ARD) auf den europaweit führenden Programmanteil von Musik im deutschen Fernsehen verwies, mochte zwar sachlich niemand widersprechen, doch relativierte Wenger mit dem Hinweis, einen festen Sendeplatz für Musik gebe es nicht einmal in den Dritten Programmen. Feste Sendezeit bindet Zuschauer – Struve konterte: das habe man ja auch immer wieder probiert, aber bei reinen Musikfilmen sei die Einschaltquote Null (auch wenn er hinzufügte, dass „Null“ immer noch mit etwa 10.000 Zuschauern zu Buche schlage).

Reines „Abfilmen“ von Musik-Events sei aber noch kein Musikfilm, bemängelte Wenger, und hier hakte Manfred Frei (Produzent loft music) ein: die Ausstrahlung bloßer „Musik-Häppchen“, vor allem in solchen, wie er sagte, „unerträglichen“ Produktionen wie „Achtung Klassik!“ sei doch wohl kein seriöses Musik-Fernsehen. Bernd Kauffmann (Kulturstadt Weimar bzw. Stiftung Schloß Neuhardenberg) fasste die Diskrepanz zwischen hehrer Klassik-Vermittlung, die „keiner anschaue“, und banaler, aber quotenträchtiger Anmache in ein poetisches Bild nach Dostojewski: wir sitzen vor der Glotze „zwischen billigem Glück und erhabenem Leid“. Dann holte er zum provokativen Rundschlag aus und fragte, warum die Musikfilmer überhaupt ins Fernsehen wollten, wo letztlich ernsthafte Musik doch eh fehl am Platze sei, schon wegen der mangelhaften Akustik herkömmlicher Geräte.

Dem mochte Bettina Ehrhardt als freie Filmerin nicht zustimmen: das Medium, das allen Sparten offen stehe, müsse auch von Musikern und Musikfilmern genutzt werden.

Wenn allerdings, wie Struve erläuterte, die „Einschaltquote“ dadurch ermittelt wird, dass „viertausend repräsentativ ausgewählte Haushalte“ an einen Zählcomputer angeschlossen werden, dann ist weiterer Diskussionsbedarf gegeben für die schon geplante nächste derartige Veranstaltung: was nämlich ist bei diesem Verfahren – verglichen mit 80 Millionen Gesamtbevölkerung – eigentlich „repräsentativ“? Und welche gesamtgesellschaftlichen Probleme – Stichwort: Pisa-Studie – bedingen entscheidend die Mechanismen des Kulturkonsums? Dieser Umkreis wurde von den Diskutanten nur gerade eben angedeutet.

Beim zweiten Podium waren dann die Filmemacher selbst – Bettina Ehrhardt, Uli Aumüller, Jonathan Haswell und Bruno Monsaingeon, dazu Lothar Mattner vom WDR-Fernsehen und Rene Karlen als Medienjournalist – weitgehend unter sich. Man muss es nicht als Sentimentalität verstehen, wenn Haswell von „Gefühlen“ sprach, die er in Bilder übersetzen und damit die Menschen wenigstens ein bisschen „ändern“ wolle.

„Durchsichtige Bilder machen, die den Blick freigeben auf die Musik“ – dieses synästhetische Credo von Uli Aumüller weist in die Richtung, die schon vor fast 60 Jahren Theodor W. Adorno und Hanns Eisler in ihrem Buch „Composing for the Films“ anpeilten: Musik und Bild ergeben im Idealfall etwas Neues, Eigenständiges, dessen beide Bestandteile sich gegenseitig erhellen.

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