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Mehr Frauen auf und hinter die Bühne

Untertitel
Zwei Symposien widmeten sich Anfang Juni feministischer Musikpolitik
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Am Sonntag den 2. Juni lud das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) in das Musikinstrumenten-Museum Berlin ein, um gemeinsam mit ihrem Publikum und Interessierten über ihre seit dieser Saison 2023/24 praktizierte feministische Programmpolitik zu diskutieren. Am 5. Juni veranstaltete der Dachverband Music Women* Germany (MW*G) ihre zweite Bundeskonferenz „Gender Equality Now – Wege zur geschlechtergerechten Musikbranche!“, ebenfalls in Berlin. Außerdem feierte Anfang Juni passend dazu das musikwissenschaftliche Online-Lexikon „MUGI Musik und Gender im Internet“ an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg sein zwanzigjähriges Bestehen mit Rück- und Ausblicken in Form von Vorträgen und einer Podiumsdiskussion über die Zukunft des Lexikons.

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So unterschiedlich diese drei Veranstaltungen in ihren jeweiligen Zielgruppen auch waren, eines verbindet sie alle miteinander: Es wird endlich als dringend notwendig angesehen, über die Sichtbarkeit von Frauen und non-binären Personen auf und hinter der Bühne und in den Konzertprogrammen – sei es im Klassik- oder Popbereich – sowie in der Musikwissenschaft zu reden. Beim Publikum aller drei Veranstaltungen herrschte Konsens darüber, dass es qualitativ hochwertige Musik von historischen sowie zeitgenössischen Frauen und non-binären Personen gibt und besondere Maßnahmen für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle/Transgender-, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen, sowie solchen anderer Orientierungen (LGBTQIA+) ergriffen werden müssen, um diese in ihrer Musikausübung zu unterstützen. Gegenwind gibt es aber immer noch deutlich von außen in Form von Facebook-Kommentaren, E-Mails und Presseberichten, wie unter anderem das Programmheft des DSO eindrücklich belegt.

Dieser Widerstand wurde bei den Veranstaltungen selbst interessanterweise vor allem von den Männern thematisiert. Dass diese sich damit oft zum ersten Mal für dieses Thema einsetzten zeigt leider auch, dass es sich bei den Beiträgen zur Sichtbarkeit von Musik von Frauen, sei es als Komponis­tin oder Interpretin, immer noch um Vorstöße einzelner und meist weiblicher Akteur*innen handelt. Hier gibt es allerdings einen deutlich spürbaren Unterschied zwischen den Musiksparten Klassik und Pop. Die Panels beim Symposium des MW*G hatten mehr „Pop“-Perspektiven und waren deutlich diverser, vielfältiger und jünger besetzt. Die MW*G-Konferenz bestand aus Gesprächsrunden mit Musiker*innen, Veranstalter*innen, Kreativdirektor*innen und Vertre­ter*innen von Organisationen aus der Musikindustrie mit folgenden Themen: Diversität und Inklusion in der Musikbranche, intersektionale Chancengleichheit, Unterstützungssysteme für Eltern in der Musikindustrie sowie Machtmissbrauch und Sexismus in der Musikbranche sowie KI und Musik.

„Kein Konzert ohne Komponistin!“ lautet der Slogan des DSO in dieser Saison und das Symposium stand unter dem Titel „Kultur für alle, von allen und mit allen“. Neben der Vorstellung der Leitlinien des DSO für eine feminis­tische Programmpolitik gab es Vorträge von Musikwissenschaftlerinnen und -akteurinnen zur Rolle der Frau im Kulturbetrieb – auf und hinter der Bühne, zu konservativ-patriarchalischen Ritualen im Klassikbetrieb der Gegenwart sowie zur Frage der Kanonbildung in Bezug auf Komponistinnen. 

Bei beiden Symposien wurde zum Teil aus der persönlichen Erfahrung heraus, zum Teil mit Zahlen und Statistiken belegt, dass Frauen und non-binäre Personen immer noch stark unterrepräsentiert sind, sowohl auf der Bühne als Interpretin als auch in den Konzertprogrammen als Komponistin und dass sie in der Regel mehr arbeiten müssen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Ebenso ist der Gender Pay Gap im Musikbereich besonders hoch. Dies liege vor allem an den patriarchalen Strukturen und der besonders männlich geprägten Vorstellung von Kreativität.

Das DSO ist bei weitem nicht der erste Klangkörper, der Werke von Frauen spielt, aber es ist das erste deutsche Berufsorchester, das sich selbst zu einer Quote verpflichtet hat, dies konsequent in seinem Marketing beworben hat und damit, wie beim Symposium eindrücklich geschildert worden ist, den Anspruch verbindet, eine feministische Musikpolitik zu verfolgen. Die Auswirkungen hat der Orchesterdirektor Dr. Thomas Schmidt-Ott in seinem Vortrag eindrücklich dargestellt: eine nie dagewesene Konzertauslastung von circa 94 Prozent; Gewinn einer neuen, wesentlich jüngeren und weiblicheren Zielgruppe; ein großes Medienecho; Anstoß einer oft hitzig geführten sowie „zukunftszugewandten und gesellschaftsrelevanten“ Debatte, sowohl intern als auch extern; und Kennenlernen vieler unbekannter, qualitativ hochwertiger Musikwerke.

Die ambitionierten Ziele der Politik des DSO lauten: 1. das Hinterfragen der bisherigen Führungs-, Macht- und Marktstrukturen der Klassikszene, 2. eine Vorreiterrolle für den Einzug von Werken von Komponistinnen im öffentlichen Konzertbetrieb weltweit einzunehmen, 3. Veränderung von institutionellen Prozessen innerhalb des DSO hin zu mehr Chancengleichheit auf und hinter der Bühne voranzutreiben und 4. ein diskriminierungsfreier und geschlechtergerechter Einsatz von KI.

Weitere Forderungen wurden in den Vorträgen und auf dem Podium laut, unter anderem nach mehr Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Gender Equity und Inklusion, nach mehr Förderung neuer künstlerischer Innovationen, nach dem Einbezug von Erkenntnissen der musikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung in den Konzertbetrieb und nach einem erweiterten Qualitätsbegriff, da Kunst individuell und vielfältig sei. Es sollten kreativere Konzertformate ausprobiert, die bisherigen Bewertungsmaßstäbe der Musikkritik überdacht und an den Musikhochschulen ganzheitlicher ausgebildet werden. 

Das Podium war sich einig, dass eine höhere Exzellenz der Aufführung und Prominenz der Personen zu mehr Akzeptanz von unbekannten Werken führen werde und dass die Zugänglichkeit und Qualität der Notenausgaben verbessert werden müssten, um zu vermeiden, dass von der geringen Qualität der Edition beziehungsweise ihrer geringen Verfügbarkeit auf die Qualität der Musik geschlossen werde. Strategisch sind Fort- und Weiterbildungen sowie Mentoring-Programme im Gender-Bereich, die paritätische Besetzung von Kommissionen, die Anpassung von Wettbewerbskriterien an einen neuen Kunstbegriff und die Ausweitung des Repertoires bei Probespielen sowie neue musikwissenschaftliche, aber auch marketingrelevante Narrative notwendig. 

Beim MW*G-Symposium standen stärker aktuelle strukturelle Themen im Vordergrund. So wurden die Politik und Fördermittelgeber*innen aufgefordert, Diversitätsrichtlinien, einen verbindlichen Verhaltenscodex und entsprechende Leitbilder zu erarbeiten und zu etablieren. Es wurde gefordert, dass auch globale Wirtschaftsunternehmen und Internetplattformen in die Verantwortung genommen werden sollten, die vorhandene Vielfalt adäquat abzubilden, Newcomerinnen und marginalisierte Personen zu fördern sowie diskriminierende Inhalte zu entfernen. Außerdem wurde gefordert Kinder von Kulturschaffenden selbstverständlicher im Konzertbetrieb zu berücksichtigen – etwa durch gesonderte Backstagebereiche – und die gesellschaftliche Akzeptanz der Doppelrolle Künstlerin und Mutter zu fördern. Auch über eine höhere Akzeptanz gegenüber Kindern als Teil des Publikums wurde gesprochen. In Bezug auf das Thema Machtmissbrauch und Sexismus in der Musikbranche wurde die Ausweitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf Freiberufler*innen und mehr Präventions- und Aufklärungsarbeit gefordert. Besonders im Bereich um KI und Musik wurden Wünsche nach stärkerer Förderung von Frauen durch Aus- und Fortbildungen laut.

Diese umfangreichen Forderungskataloge zeigen: Ideen zum Erreichen von Chancengleichheit gibt es viele. Nun liegt es an allen mitwirkenden Institutionen und Personen des gesamten Musiklebens diese auch umzusetzen, denn nur so können die Herausforderungen der heutigen Zeit gemeistert und der Musikbetrieb zukunftsfähiger gestaltet werden.

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