Weimar - Doris Schmitten hat ihre Matratze an die Wand eines leer stehenden Klassenzimmers gelehnt. Sie dient der Akkordeonspielerin für vier Wochen als Schlafgelegenheit in der alten Harry-Graf-Kessler-Schule. Schmitten ist extra aus der Eifel nach Weimar gekommen, um das Yiddish-Summer-Festival ehrenamtlich mitzuorganisieren, das von Mittwoch (1. Juli) bis 7. August in der Klassikerstadt stattfindet. «Das Musikfest ist so lebendig, jeder ist willkommen, jeder kann sich mitteilen», schwärmt die Musikerin.
Nachdem Weimar das unsanierte Schulgebäude im April dem Other-Music-Verein geschenkt hat, ist nun auch wieder Leben in die einstigen Unterrichtsräume gezogen. Von dort aus plant der Verein die Workshops, Konzerte und Jam-Sessions, die das jiddische Musikfest ausmachen. Das Yiddish Summer Festival findet zum zehnten Mal in Weimar statt. Es ist eingebunden in einen dreigliedrigen Festivalzyklus, bei dem es ähnliche Veranstaltungen in Krakau und Wien gibt.
Während sich das Weimarer Festival in den vergangenen Jahren auf griechisch-türkische und arabische Einflüsse innerhalb der jiddischen Musik konzentrierte, bildet Moldawien in diesem Jahr den Schwerpunkt des Yiddish Summer. «Das Land ist Kreuzungsplatz zwischen Musik der Juden und Roma», erklärt Festivalleiterin Stephanie Erben. Ziel sei ein interkultureller Austausch beider Musikrichtungen und die gegenseitige Bereicherung der Künstler.
Erben plant zusammen mit Programmdirektor Alan Bern die einzelnen Veranstaltungen. Kurz vor Beginn des Musikfests stapelt sich die Arbeit auf ihrem Schreibtisch. «Hauptsächlich Visa-Probleme», klagt Erben, die mit Botschaften, Ausländerbehörden und Fluggesellschaften telefoniert, um die Einreise der Workshop-Leiter zu klären. «Viele kommen aus der ganzen Welt nach Weimar, um gegenseitig voneinander zu profitieren und miteinander zu musizieren.»
Neben den Workshops bilden die Jam-Sessions das Herzstück des Festivals. Diese sind auf Weimars Märkten und Straßen, innerhalb und außerhalb von Cafés geplant und sollen die Menschen zum Mitmachen animieren, erklärt Erben. «Wir wollen ein jüdisches Projekt etablieren, das im öffentlichen Raum stattfindet und auf diese Weise eine Brücke zu den Weimarern schlagen.» Es sei ein Geschenk, wenn Juden und Nichtjuden heute dort miteinander tanzen könnten.
Dass dies in Zukunft kein zeitlich begrenztes Geschenk mehr sein wird, ermöglicht das alte Schulgebäude, das den Organisatoren zur Verfügung steht. Im kommenden Jahr soll dort eine Musikakademie entstehen, die es dem Other-Music-Verein ermöglicht, mehrere Workshops und Konzerte über verschiedene Jahreszeiten hinweg anzubieten. Bislang musste sich das Festival an den Schulferienzeiten orientieren, da nur in dieser Zeit eine Weimarer Musikschule für die Workshops genutzt werden konnte.
«Durch das Gebäude stehen genügend Zeit und Raum für diese wunderschöne Klezmer-Musik zur Verfügung», sagt die Workshop-Leiterin Franka Lampe. Sie empfindet das Musikfest als «große Auszeit», in der sie ihrem Alltag entfliehen könne. Zudem sei es einmalig in Weimar, die großen internationalen Künstler des Klezmers zu erleben und bei diesen zu lernen.
Das findet auch die freiwillige Helferin und Workshop-Teilnehmerin Doris Schmitten, die jede Nacht als einzige in dem vierstöckigen Schulgebäude übernachtet. «Das Festival hat mein Leben verändert», gibt die Musikerin zu. «Ich bin süchtig danach.»