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Markus Fisher in der Bielefelder Uraufführung der „Death Fragments“. Foto: Matthias Stutte
Markus Fisher in der Bielefelder Uraufführung der „Death Fragments“. Foto: Matthias Stutte
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In 80 Minuten durch die Büchner-Welt: „Death Fragments“ von Tetsuo Furudate und Edwin van der Heide in Bielefeld

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Wieder einmal war man überrascht, bestätigt, vor allem aber doch überwältigt von der unglaublichen Präsenz der Theatersprache Georg Büchners. Eine Faszination, die auch den japanischen Klangkünstler Testuo Furudate umgetrieben hat, wobei interessanterweise auch bei ihm der Weg zu Büchner über den schönen Umweg Alban Berg und dessen Wozzek-Oper verlaufen ist.

Eine Annäherung an die klassische Moderne aus gänzlich konträrer Ecke. Furudate, Jahrgang 1959, kommt vom Experimentalfilm und der Videokunst, etabliert Mitte der 80er Jahre die Szene der Noise music in Japan, dehnt 1998 sein Arbeitsfeld auf Europa aus, gibt Konzerte, veröffentlicht CDs, bringt 2001 Othello als Noise-Oper im Berliner Podewil zur Uraufführung, wird dort artist in residence, realisiert im weiteren Verlauf u.a. seine eigene Wozzek-Version. Es folgen Auszeichnungen, avancierte Hörspielproduktionen, auch und vor allem für Deutschlandradio. Das Büchner-Thema bleibt. Wiederaufgegriffen wird es (zusammen mit seinem Partner, dem holländischen Klang- und Videokünstler Edwin van der Heide) im Rahmen der Umsetzung eines Kompositionsauftrages, einer Reise in 80 Minuten durch die Büchner-Welt, eine ebenso wilde wie schlüssige Textcollage über Leben und Tod aus Leben und Werk des Dichters: „Death Fragments – Büchner 23 years old“.

Das Material – Lenz-Novelle, Dantons Tod, Woyzeck – hat einen abenteuerlichen Weg genommen. Ausgangspunkt: eine japanische Textkompilation, die ins Englische übersetzt, ins Deutsche rückübersetzt – und trotzdem auf der Bielefelder Bühne lebendig wird. Sehr überzeugend Markus Fisher in der Rolle von Lenz, Woyzeck und Büchner selbst. Nur inwiefern haben wir es hier eigentlich mit Musiktheater zu tun? Was ist dran an diesen computergenerierten Klangwolken, die aus mächtigen Lautsprechern auf der Bühne und, das Publikum sitzt auf Gittern, aus Lautsprechern aus dem Tiefengrund des Theaters abgestrahlt werden? Was hören wir da? –

Schon das allerste unendlich langsam anschwellende Crescendo, das in ohrenbetäubende Detonationen münden wird (so, denken wir, muss es sein in Bombennächten) schon dieses bedrohliche Brausen, das urplötzlich in Stille umschlagen kann, überwindet die Grenze bloß funktionaler Bühnenmusik. Furudate, der sich denn auch im Programmheft als Liebhaber der klassischen Musik bekennt, führt seine wabernde noise-music immer wieder zu autonomer Gestalt, die das Geschehen sekundiert und kommentiert. Das bedrohte Leben, das permanente Sein zum Tode auf der Bühne, zu dem van der Heide Laser-Raum-Projektionen beisteuert, kippende von Theaternebel erfüllte Galaxien, zerbrochene Sonnen, farbig gemachte Projektionen, die an Röntgenaufnahmen von Herz-Kranz-Gefäßen erinnern – zu diesen Grenzerfahrungen aus Leben und Tod fügt Furudate Körpertöne, schweres Atmen, Vogelstimmen, die abdirften in das unangenehme Surren von Insekten, die sich Sterbenden nähern. Ein überzeugender Abend von großem Kunsternst.

Auch wenn diese beeindruckende musiktheatralische Experimental-Produktion ihre Uraufführung am Theater Bielefeld erlebt hat – Furudates/van der Heides „Death Fragments“ sind ein Auftrag zweier Förderinstitutionen: der Kunststiftung NRW und des Kultursekretariats NRW. „Fonds experimentelles Musiktheater“ heißt der gemeinsame Topf, für den sich Christian Esch, Direktor des Kultursekretariats NRW als Geburtshelfer einerseits als sein eloquentester Dolmetscher andererseits stark macht. Ausführliches Interview in nmz 4/11.

Nächste Vorstellung: 21.4., 20:00, Theater Am Alten Markt Bielefeld

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