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Die Felsenreitschule als Simultanschauplatz für Zimmermanns „Soldaten“. Foto: Ruth Waltz
Die Felsenreitschule als Simultanschauplatz für Zimmermanns „Soldaten“. Foto: Ruth Waltz
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Ästhetik statt Pluralität: Zimmermanns „Die Soldaten“ bei den Salzburger Festspielen entpolitisiert und domestiziert

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Die 1958 entstandene und nach langen Anlaufschwierigkeiten 1965 in Köln (fast strichlos) uraufgeführte Oper „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann erlebte ihre Salzburger Erstaufführung in einer eigenwilligen Fassung. Trotz der augenfälligen Präsenz aller Orchesterformationen und in künstlerisch hoher Qualität, bleibt das multimediale Kunstwerk auf der Strecke. Dafür wird die Felsenreitschule, erstmals in der Neuzeit, zwar nicht für Wildtierhatzen, aber doch nicht nur für menschliche An- und Übergriffe, sondern auch für Pferde genutzt.

Hatte der Sturm und Drang-Autor Jakob Michael Lenz (1751–1792) in seinem gleichnamigen Schauspiel für eine Pflanzschule von Soldatenweibern plädiert, um dem Missstand der von Soldaten verführten und vergewaltigten Bürgermädchen entgegenzuwirken (weshalb ihn Goethe fallen ließ), so ist die Einrichtung des Komponisten Zimmermann (1918–1970) primär ein Veto gegen Kriege. Im Rahmen von Zimmermanns kugelgestaltiger Zeitangabe, „gestern, heute und morgen“, der Aufhebung der Einheit von Ort, Zeit und Handlung, hat sich das Salzburger Leading Team für den ersten Weltkrieg als gespielte Zeit entschieden (Kostüme: Eva Dessecker).

Der lettische Regisseur und Bühnenbildner Alvis Hermanis hat die hintere Hälfte der Bühne als Pferdebahn gestaltet. Hier werden sechs Rosse durch die ganze Bahn und in zwei Zirkeln herumgeführt und, erotisch aufreizend, von Halbweltdamen im Herrensitz geritten. Zugleich dient der hintere Raum, über dem die historische Eingangs-Skulptur der Felsenreitschule mit ihren drei Pferdeköpfen prangt, als ein Schlafstall für Soldaten in Stockbetten. Von der vorderen Bühne getrennt wird dieser Soldaten- und Pferdetrakt durch eine Fensterfront, eine Projektionsfläche für historische Pornophotogravüren. In 3D kann diese Anmachbilder nur der Feldprediger Eisenhardt (Boaz Daniel) mit seinem historischen Okular betrachten.

Der vordere Bühnenteil wird als Simultanschauplatz bespielt, Marie und ihre Schwester Charlotte teilen sich ein Stockbett, welches aber auch Stolzius und seiner Mutter (Renée Morloc) als Zuhause dient, so wie sich sowohl Stolzius, als auch Weseners alte Mutter (Cornelia Kallisch) in einen beleuchteten Schrank als Refugium zurückziehen. Eine aufgerichtete Glasvitrine bietet öffentliche Sicht auf die darin agierenden Liebespaare oder die strippende Andalusierin; deren Double reitet zu Zimmermanns Jazz-Combo lustvoll auf der steinernen Pferde-Trias.

Im Gegensatz zur epochalen Inszenierung durch David Pountey bei den Ruhrfestspielen in der Jahrhunderthalle Bochum, wurden die Bühnenorchester bei Theateraufführungen der „Soldaten“ aus Platzgründen zumeist in Nebenräumlichkeiten verlagert und elektroakustisch zugespielt. In Salzburg schließen sich die erweiterten Orchesterformationen, das umfangreiche Schlagwerk und die Jazz-Combo, rechts und links an die im Orchestergraben aufspielenden Wiener Philharmoniker, auf erhöhtem Bühnenniveau an. Die kugelgestaltig dröhnende Klangcollage zu Beginn des vierten Aktes, der Höhepunkt dieser Partitur an Klangmischung von live erzeugter Pluralität und vorproduzierten Zuspielungen, erfolgt in der Salzburger Felsenreitschule durch die Bank live. Dies geht einher mit einem Verzicht auf Aktionen, denn die Solisten produzieren ihre Einsätze konzertant. Und die nun keineswegs mehr ohrenbetäubende Klangwirkung verzichtet auch auf die vom Komponisten mitkomponierte, plurale und mulimediale Bebilderung. So bewirkt Ingo Metzmachers eigengewichtig eigenwillige Lesart der Partitur deren Domestizierung. Für das Ende hat der Dirigent jene reduzierte Alternative herangezogen, die Zimmermann für eine Konzertaufführung nachgeliefert hat: ohne Marschtritt der Soldaten, ohne internationale Befehle, und ohne den Schatten des Atompilzes: das lateinische Paternosters des Feldpredigers verebbt, dann auch das Schlagwerk der Fernorchester, schließlich das Hauptorchester.

Die Koproduktion mit der Mailänder Scala endet in Salzburg somit ohne Katastrophe, wie ohne Trost – wenn auch nicht trostlos. Denn gesungen und musiziert wird in dieser Produktion auf sehr hohem Niveau. Und Metzmachers Interpretation geht merklich konform mit der insgesamt ästhetisierenden Sicht des Regisseurbühnenbildners, den knapp 30 namhaften Militaristen, mitsamt Adel, Bürgerlichen, Prostituierten, Pferdeknechten und Rossen, und Reitern als erotischem Akt.

Das vorgeschriebene Gewitter am Ende des ersten Aktes flammt in den Arkaden auf, und die folgende Introduktion deutet der Dirigent als kollektive Entladung: die Soldaten, die zuvor schon als Spanner hinter den Fensterscheiben fungiert hatten, als Desportes Marie das Mieder geschnürt hat, onanieren nun angesichts der Marie gemeinschaftlich, bis hin zum kollektiven Orgasmus.

Statt der Fahrt im Wagen mit Herrn von Mary und Stolzius als Kutscher, reitet Marie selbst hoch zu Ross. In lichter Höhe überschreitet ihr Double die volle Bühnenbreite auf einem Seil, die Sängerdarstellerin balanciert dann auf Strohballen, in denen sie sich mit ihren Liebhabern suhlt, bis Beide jeweils selbst zu Strohpuppen werden. In Hermanis’ Inszenierung wird Marie geschwängert, doch erweist sich ihr prägnanter Bauch als Scheinschwangerschaft, denn im langen Terzett mit der Gräfin (stimmlich sehr profiliert: Gabriela Benačková) und Charlotte (Tanja Ariane Baumgarter), zieht sich Marie (souverän und wohltönend: Laura Aikin) langsam die Strohfäden wieder aus ihrem hochschwangeren Bauch.

Stolzius (kernig männlich: Tomasz Konieczny) hat mit Halftern behängt seinen Dienst bei Hauptmann Mary (Morgan Moody) angetreten und rasiert seinen neuen Herrn, wie weiland Wozzeck den Hauptmann. Synchron zum Tischgespräch von Desportes (Daniel Brenna) und Mary vergewaltigt Marys Jäger Marie in der Glasvitrine. Potenziert wird der Akt des Vergiftens jener Militaristen, die Marie zur Hure gemacht haben: Stolzius tötet nicht nur Desportes und Mary; neben dem Täter, der sich auch selbst vergiftet hat, fallen alle Soldaten leblos zu Boden. Der alte Wesener (Alfred Muff) sucht unter Gasmasken nach Überlebenden und trifft im Heu auf seine Tochter, die er nicht mehr erkennen will.

Dabei werden die Projektionen gespreizter Frauenschenkel abgelöst von historischen Aufnahmen geschwürdeformierter Gesichter. Marie aber besteigt selbst die steinerne Troika und richtet einen bei Zimmermann nicht komponierten Schrei gen Himmel, während alle Lichter, bis auf die roten Hurenampeln um das Glasgeviert, verlöschen.

Trotz einer Pause nach dem zweiten Akt, bei nur knapp zweistündiger Musikdauer, blieb das Premierenpublikum bis zum Schluss. In der nicht komplett ausverkauften Felsenreitschule bejubelte es die späte Salzburger Erstaufführung jener Oper, die wie keine danach die Grenzen des im Musiktheater Machbaren extrem erweitert hatte.

Weitere Aufführungen: 22., 24., 26. 28. 08. 2012 und am 26. August um 21:55 Uhr auf 3sat.

 

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