Der Kampf ums Überleben vor Ort, die Entgegennahme des größten Kulturpreises weltweit aus Japan, die Orientierung zwischen Müllskandalen im Tal der Wupper und der Sanierung des örtlichen Opernhauses, der einzige reine Ästhetik-Lehrstuhl in reiner AntiÄsthetikUrbanität – das sind Essentials, mit denen das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zu rechnen hat. Und das nicht nur in Zeiten global leerer Kassen.
Diese waren in Wuppertal schon immer nicht gut gefüllt. Folglich galt es dort von Anbeginn, Kunst ohne prall bestückte Geldtöpfe zu kreieren. Das war der Kunst vor Ort als künstlerisches Credo ins Stammbuch geschrieben. Auf solch ideologiefreiem arte-povera-Terrain entwickelt sich die körpersprachliche Kunst der Pina Bausch so über die Zeiten in den Zeiten für die jeweiligen Zeiten. Und dass da nicht jedes Mal, wenn einmal pro Jahr ein „Neues Stück“ angesagt ist in Wuppertal (und im Rest der Welt vor allem), alles von Grund auf neu sein kann, liegt in der Kraft kreativen Kreierens und ästhetischer Bogenformen.
Eines bleibt immer gleich bei Pina Bausch: die Liebe. Die Liebe zum Menschen und zum menschlichen Körper und seiner Sprachlichkeit. Die Liebe zur Musik. Die Liebe zur tänzerisch-analytischen Sicht des Menschlichen. Die Liebe zur distanzierend-aufklärerischen Einsicht. Das reicht von „Nelken“ und „Kontakthof“ bis zum „Neuen Stück 2009“. Und dass tiefe Erkenntnis nicht immer nur mit tieftrauriger Ernsthaftigkeit in tiefschwarzem Outfit funktionieren muss, zeigt auch das aktuelle Seelengemälde, das mit Minimalprojektion und chilenisch-kammermusikalischer Maximalemotion grenzenlose Zärtlichkeit und fulminante Grobheit inszeniert, Anziehung und Abstoßung skizziert, Spannungsfelder von Weiblichem und Männlichem definiert im offenen Visier von Sex und Sensibilität, von Stoff und Körper, von eloquenter Musikalität und stofflicher Farbenfreude.
Und immer bleibt im Jahr zweitausendneun ein Hauch von inniglichem Lächeln, von unerträglicher Leichtigkeit des Scheins im Gewand gesellschaftlichen Analysierens. Wunderbar. Wunderbar verdiente Ovationen.