Worte, Worte, antwortet Hamlet auf die Frage des Polonius, was er da gerade lese. Derzeit flirren Worte, Worte nur so durch Gazetten, Sitzungsprotokolle, Symposien, Ausschüsse und überall dort, wo sonst noch über „Kultur“ geredet wird. Das Wort Kultur taucht allerdings dabei vorwiegend im Zusammenhang mit anderen Worten auf. Zwei stechen besonders hervor: Kreativität und Wirtschaft. Über alles kann man unendlich lange und ausführlich diskutieren. Zuletzt hat sich der Deutsche Musikrat des Themas bemächtigt – siehe unseren Bericht über eine Tagung in Berlin auf Seite 14
Das allgemeine Dauergerede gleicht inzwischen einer neuen Babylonischen Sprachen- und Begriffsverwirrung. „Kreativwirtschaft, was ist das eigentlich?“ – fragt einer. „Kultur ist unsere Zukunft.“ – nennt eine Partei ihr Papier. Woanders mutiert die Kreativwirtschaft schon zur Kreativindustrie. In Berlin hat der Wortschwall schon die Dimensionen eines Kawenzmanns erreicht – einer besonders hohen Meereswelle. Wir wollen hier nun nicht noch eine weitere Wortmeldung zum Thema verbreiten – vieles, was gegenwärtig diskutiert wird, konnte man in der neuen musikzeitung schon vor 20 Jahren lesen. Vorschläge, Anregungen, wie man Musik, Kunst, Kultur über deren spezielle Institutionen hinaus durch das Engagement weiterer gesellschaftlicher Kräfte in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Technik so miteinander verknüpfen könnte, dass synergetische Effekte zum Vorteil und Nutzen aller gewonnen würden. Man wurde zwar angehört, aber kaum verstanden, geschweige denn, es wäre etwas geschehen.
In der augenblicklichen Hektik, zu der Theo Geißler in der vorletzten nmz-Ausgabe als treffende Abwandlung eines Zitats formulierte, dass Kunst nicht (mehr) von Können, sondern von Rechnen komme, erscheint es notwendig, auf ein, allerdings wieder einmal bedrängtes, Gegenbild zu zeigen. In Donaueschingen, wo seit 1921 die bekannten Musiktage mit zahlreichen Uraufführungen stattfinden, erschien am Rande ein hier schon bekanntes Menetekel an der Wand: Wieder einmal ist vom übernächsten Jahr an die Finanzierung nicht gesichert. Seit sich der Südwestrundfunk vor einigen Jahren aus der Alleinfinanzierung des Avantgardefestivals verabschiedet hat und die Musiktage nur mit Hilfe von Sponsoren aufrecht erhalten werden können, hängt ständig das Damoklesschwert über der Veranstaltung, dass der eine oder andere Großsponsor nach Ablauf der meist dreijährigen Vertragsfrist aussteigt. Jetzt ist es bald wieder soweit: Die Kulturstiftung des Bundes könnte sich zurückziehen.
Ein unzumutbarer Zustand für die künstlerisch Verantwortlichen der Musiktage. Sie müssen schließlich mehrere Jahre vorausplanen, Aufträge vergeben, mit Komponisten und deren Verlagen verhandeln, das Notenmaterial aufführungsreif bereitstellen. Wenn aber die Finanzierung nicht gesichert ist, was dann? Eine schöne Wirtschaft, auf jeden Fall im negativen Sinn. Und kreativ ist das schon gar nicht. Dabei: wenn etwas kreativ in der Musik ist, dann sind es doch wohl Musiktage, bei denen neue Werke vorgestellt werden.
Kreativwirtschaftler werden nun vielleicht einwenden, dass sich Institutionen wie Donaueschingen ohnehin nicht rechnen, auch wenn die Konzerte gut besucht sind, allerdings zu nicht besonders hohen Eintrittspreisen. Schließlich möchte man ja die meist nicht so finanzstarke, an Neuer Musik interessierte Jugend erreichen.
Was darüber hinaus immer stärker in der veröffentlichten Meinung hervortritt: das ist die zunehmende Missachtung der individuellen künstlerischen Leistung. In Donaueschingen wurde, gleichsam als klingendes Argument, ein neues Werk des französischen Komponisten Marc André uraufgeführt, Teil einer Trilogie, deren weitere Aufführungen andernorts erfolg(t)en: in Baden-Baden und München (siehe unseren Bericht über Donaueschingen auf Seite 37). Marc André zählt zu den großen Hoffnungen der Neuen Musik, seine Werke stellen erhebliche Ansprüche an den Rezipienten, auch an die Interpreten. Es ist eine Musik von großer innerer Gespanntheit, von hoher Bewusstheit, die viel von den Schwierigkeiten mitteilt, mit einem Kunstwerk auf die ästhetischen Herausforderungen einer immer komplizierteren und komplexeren Gegenwart zu „antworten“. Es ist Kunst, die von Können kommt und sich erst dann rechnen wird, wenn etwas von ihrer Bewusstheit auch in die Köpfe von Kreativ- und Kulturwirtschaftlern eingedrungen ist.
Dasselbe gilt auch für ein zweites Werk, das in Donaueschingen erstmals präsentiert wurde: die ersten drei Teile von Hans Zenders großformatigen „Logos-Fragmenten“ für 32 Stimmen und 3 Orchestergruppen. Auch dieses Werk antwortet auf die Herausforderungen unserer Zeit, stellt einen hohen Anspruch an jeden einzelnen Zuhörer.
Wogegen man sich wehren muss: gegen die wachsende Vereinahmung des autonomen Kunstwerks und des einzelnen Künstlers durch die nachgeordneten Verwerter. Diese haben selbstverständlich im Kunstbetrieb ihre zugeordnete und durchaus sinnvolle Aufgabe. Es gilt aber, die Grenzen zu beachten, die einige zuständige Institutionen allmählich aus den Augen zu verlieren scheinen. Im Komponierhäuschen werden Noten geschrieben, nicht Aktienkurse notiert. Siehe dazu auch nebenstehendes Editorial sowie den „Nachschlag“ auf Seite 12