Zum Kampfruf in der Ouvertüre von Wagners dritter Oper, deren Schwierigkeitsgrad – trotz der langen Tradition der Meininger Regimentskapelle gerade mit diesem Orchesterstück – in der Intonation der Meininger Hofkapelle überdeutlich wird, mischt sich das Martinshorn: ein Notrufwagen umrundet die neben den Theatergebäuden im Englischen Garten errichtete Tribüne. Das Tatütata bleibt am Premierenabend nicht die einzige akustische Zutat zu Wagners 1842 in Dresden uraufgeführter Partitur.
Regisseur Wolfgang Gratschmaier hat Texte aus Wagners „Rienzi“, insbesondere aus dem berühmten Gebet, für einen Rapper (doppel-u.de) eingerichtet, die der zu Teilen der Ballettmusik, die partiell mit einem Rap-Dauerrhythmus unterlegt ist, skandiert.
Aber durchaus nicht heute spielt die original im Jahre 1354 angesiedelte Handlung, sondern in der Sicht des Regisseurs um 1000 Jahre später, also im Jahre 2354, in einer „mittelalterlichen Science-Fiction-Zukunft“.
Die gerät – trotz „Star Wars“-Kostümen der Nobili – doch mehr heutig gestrickt, mit Volksjacken aus den Logos von Aldi, Lidl, Schlecker, Penny und Co. und mit Scanschildern auf dem Rücken (Kostüme: Ursula Wandaress). Zentral prangt auf der Bühne ein 15 Meter hoher, rot eingefärbter Obelisk, aus dem für Rienzis Gebet als Kreuzbalken eine Querachse kippt. Durchaus allgemein übertragbar ist der Hintergrund, mit sechs höhenverstellbaren Plexiglassäulen (Bühnenbild: Christian Rinke).
In der dreidreiviertelstündigen Aufführung, mit einer Pause nach dem zweiten Akt, erklingt einiges, was man in den allzumal stark gekürzten „Rienzi“-Aufführungen lange nicht mehr gehört hat, etwa der Doppelchor der Nobili im ersten Akt, leider durch rhythmische Akzente mit Schlagstöcken in den Händen der sich konzentrisch drehenden, rivalisierenden Gruppen verunklart. Am Ende des 3. Aktes ist Wagners komponierte Alternative eines verkürzten Schlusses zu erleben, und im fünften Akt zwar nicht Rienzis Cavatine von seiner hohen Braut Roma, aber doch recht ausführlich sein Duett mit Irene, bei dem in Meiningen die wälsungenhafte Geschwisterliebe durch kindische Abklatsch- und Ballspiele unterlaufen wird.
Außer dem Rappertext gibt es noch weitere Ergänzungen. Einer der Adligen, die Rienzis Schwester Irene vergewaltigen wollen, ruft, „Da ist Irene, schnappt sie euch!“, und drei Kinder als MinistrantInnen kündigen, über die Musik rufend, Rienzis ersten Auftritt an.
Bei der Mauerschau des Krieges blitzen Stroboskope, während in den Lautsprechern hinter dem Publikum Flug- und Bombenlärm ertönt und die Schwalben in Aufruhr bringt.
Die drei MinistrantInnen bilden, Kardinal Raimondo (Roland Hartmann) folgend, die gesamte klerikale Kirchenbann-Prozession, von der es – nun unfreiwillig komisch – heißt, „Seht, welch ein Zug!“ Der Abschluss des 4. Aktes wird orchestral angehoben, da Rienzi hierbei eine Herzattacke erleiden muss.
Beliebigkeiten wechseln mit Opernkonventionen: Als „Security“ beschriftete Statisten lassen beim Duett von Irene und Adriano weiße Tuchwellen wogen. Friedensboten mit metallenen Engelsflügeln tragen Großfotos italienischer Sehenswürdigkeiten zur Schau, aber nur der solistische Friedensbote singt eindrucksvoll (Maida Karisik), während die anderen von den Chordamen aus dem Off synchronisiert werden. Irene liebkost (feuer)rote Transparente, rote „R“-Signets prangen an den weißen Kostümen des befreiten Volkes und auf deren Fähnchen. Das Attentat auf Rienzi erfolgt in Zeitlupe. Und statt eines Schlachtrosses wird ein Jeep bemüht, in dem Rienzi die nuklearen Bomben höchst persönlich transportiert. Szenisch gelungen ist jedoch das Ende, mit Rienzi und Irene auf der Publikumstribüne und mit „Steinen und Feuerbrand“, wirklichen Pflastersteinen, die der Chor gegen die Glastürme schleudert, Fackeln und einer Benzinpfütze, die sich nicht entzünden lässt.
GMD Philippe Bach dirigiert beschwingt, wie es die Open Air-Situation erfordert, aber in einer zumeist präzisen Koordination, die auf exakte Proben schließen lässt. Die Sänger sind teilweise nicht nur mit einem Microport ausgestattet. Die Klangbalance des unter einem Zelt verborgenen Orchesters mit der Bühne gelingt gut, wenn auch ohne Stereowirkung.
Stimmlich, wenn auch nicht immer rhythmisch, überzeugen die beiden Bass-Nobili Erdem Baydar als Colonna und Dae-Hee Shin als Orsini. Adriano di Colonna, Wagners einzige Hosenrolle, erscheint in der Meininger Aufführung als bewusster Anachronismus, im Werther-Outfit und mit langem Schwert; der Sängerdarstellerin Alla Perchikova gebührt Rücksicht, da sie mit einer Mandelentzündung angekündigt wurde.
Camila Ribero-Souza wird den Koloraturen und der Dramatik der Irene gerecht, ist aber in der Höhe oft zu flach. Von den beiden römischen Bürgern, die auch in der Zukunft als Faschisten, mit Beilen in Rutenbündeln, auftreten, ist gesanglich nur der Tenor Stan Meus als Baroncelli zu akzeptieren. Während und nach der Premiere bejubelt wurde der österreichische Tenor Andreas Schager: im lyrischen Fach gewachsen, vermag er die heldische Titelpartie, leicht gesungen und nur selten stemmend, gut durchzustehen. Verwunderlich ist allerdings der Mangel an Hochlautung bei seiner Aussprache. Schlank und sauber singen Chor und Extrachor des Meininger Theaters, einstudiert von Sierd Quarré. Und präzise bewegen sich die Modern Style Dancers beim Fest des zweiten Aktes.
Trotz Crossover und nuklearer „Kampfführung des Vierten Weltkriegs“ ist es beruhigend, dass die Emotionen, glaubt man der Meininger Zukunftsvision, auch in 240 Jahren noch so „menscheln“ werden. Also herrscht am Ende Zustimmung des Publikums aus Thüringer Opernfreunden und überregional angereisten Wagnerianern, auf einer – bei echt sommerlichen Temperaturen – annähernd gut gefüllten Tribüne.
Weitere Vorstellungen: 5., 12., 18., 25. Juni, 6., 13., 20. August 2011