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Jörg Widmanns Babylon an der Staatsoper Berlin. Foto: Arno Declair
Jörg Widmanns Babylon an der Staatsoper Berlin. Foto: Arno Declair
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Alle sieben Jahre: „Babylon“-Uraufführung von Jörg Widmann: Neufassung an der Staatsoper Unter den Linden

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Von den Grenzen der Sprache, vielmehr der Sprachverwirrung, handelt Jörg Widmanns »Babylon«. Der Komponist stellt hierin die multikulturelle Gesellschaft der vorantiken Hochkultur-Metropole ins Zentrum seiner Oper. Peter P. Pachl besuchte für die nmz die Premiere der Inszenierung an der Staatsoper Berlin.

Die Uraufführung an der Bayerischen Staatsoper im Jahre 2012, von La Fura Dels Baus visualisiert, war nicht unumstritten. Offenbar hat sich die Staatsoper Unter den Linden damals gleich die Aufführungsrechte für dieses nur an den größten Häusern realisierbaren Musiktheaters gesichert, gleichzeitig aber Änderungsvorschläge erbracht. Die Neufassung, die viele Striche, Umstellungen und neu komponierte Szenen enthält, wurde sieben Jahre später, erneut als Uraufführung angekündigt, zu einem einhelligen Publikumserfolg.

Die Zahl Sieben spielt eine besondere Rolle in Jörg Widmanns Partitur, strukturalistisch und rhythmisch, von Kleinstformen über mehrere Septette in den sieben Bildern und einem Lobpreis auf die Ordnung stiftende Sieben. Das Libretto von Peter Sloterdijk verzichtet auf die Topoi des Turmbaus, wie auf das der babylonischen Sprachverwirrung. Dafür greift der Komponist letzteren Topos als musikalisch stilistische Vielfalt auf, mit höchst unterschiedlichen Genres, bis hin zum Musical.
Das multikulturelle Volksgebilde setzt er klanglich um in einen bis zu 20-stimmig aufgesplitteten babylonischen Chor, der sich immer mehr in einzelne Stimmen verliert. Der Vielvölkerstaat der für 2000 Jahre verschütteten Hochkultur-Metropole wird mit Texten aus 4000 Jahren Kulturgeschichte heraufbeschworen.

Zunächst ebenfalls angekündigt als eine Parallele zur „Zauberflöte“ (und damit dann bereits der dritten an diesem Haus!) erzählt vom jüdischen Exilanten Tammu, der sich von seiner ihn liebenden Seele getrennt und in die allseits begehrte Inannna, die Priesterin der Wollust, verliebt hat. Doch diese liebt ihn so sehr, dass sie ihn nach seinem Opfertod als ein weiblicher Orpheus aus der Unterwelt zurückholt. Vor seiner Opferung erlebt Tammu im Traum über Babylon, wie der Euphrat von der Sintflut berichtet und wie der jüdische Prophet Ezechiel (der Schauspieler Felix von Manteuffel) diese Geschichte einem Schreiber etwas anders diktiert.
 
Für den durch eine Augenoperation verhinderten GMD Daniel Barenboim ist Christopher Ward eingesprungen, der als Kapellmeister bereits an der Uraufführungsproduktion mitgewirkt hatte; er erweist sich als ein souveräner Sachwalter für das breit gefächerte Mixtum an musikalischen Ausdrucksformen der beispielsweise mit je siebenfachem Holz und Trompeten und mit elf Hörnern extrem groß besetzten und klanglich noch um Akkordeon, Glasharmonika, Celesta, Orgel und Klavier erweiterten Partitur. Ward versteht es, Schönheiten herauszuziselieren und doch die disparaten Mittel zu einer Einheit zu fügen.

Ungewöhnlich, dass eine zeitgenössische Oper so lang ist, dass sie eine Pause verlangt – und doch schafft, dass das Publikum auch im zweiten Teil nicht wegbleibt.

Die Stringenz der Komposition hat gegenüber einer Arienlastigkeit in der Erstfassung deutlich gewonnen, insbesondere in den faszinierend gegeneinander geschnittenen rituellen Gesängen der Babylonier vor der Opferung Timmus und dem hebräischen Psalm 137, „wir hängten unsere Harfen an die Weiden im schlimmen Land“. Auffällig neu ist insbesondere der Schluss mit Surround-Elektronik und anschließender Stille bei einem von der Bühne aus angestrahlten Auditorium. Dieses Bild steht im Sinne jener Philosophie dieser Oper, dass Katastrophen immer wieder kommen können, der Mensch die Verantwortung nicht auf Gottheiten abwälzen, sondern die Dinge selbst in die Hand nehmen soll und immer wieder neu entscheiden muss.

Besonders wirkungsvolle Momente erzeugt der Komponist durch alludierte Zitate aus dem klerikalen Umfeld, aber etwa auch mit dem „Tanz der sieben Schleier“ aus „Salome“ bei Inanna. Und fast zu einem Ohrwurm wird das musicalhafte, abwechselnd vorgetragene und wiederholt aufgegriffene Duett des Liebesversprechens.

Aus der Münchner Uraufführung sind einige Bavaria erhalten geblieben, wie der verhunzte, in der Halbtonfolge von A- und As-Dur gleichzeitig erklingende bayerische Defiliermarsch, oder die Deutung des Menetekels als Abzählreim durch zwei Kinder am Ende der Oper, mit dem Fazit „gib a Ruah!“.

Regisseur Andreas Kriegenburg hat sich von Bühnenbildner Harald Thor einen metropolisartigen, horizontal verschiebbaren Koloss an Räumen in mehreren, nebeneinander verschobenen Etagen bauen lassen. Offenbar bewusst ausgeklammert hat er die in diesem Werk ebenfalls verarbeitete Astrologie, mit der sich in eine Sonne verwandelnden Seele und dem Sternbild des Skorpions am Ende. So bleibt die Funktion Skorpionmenschs im ersten und letzten Bild etwas unklar, und dessen Kostüm scheint eher einem Kindermärchen adäquat. Insgesamt aber hat die Kostümbildnerin Tanja Hofmann eine Fülle an Ideen in artifiziell faszinierende Einzelkostüme umgesetzt, am wenigsten überzeugend allerdings beim Mummenschanz des Neujahrsfestes oder bei den als solche nicht übersetzten Gruppen Die sieben Phalloi und Die sieben Vulven. Robert Pflanz steuerte am oberen Bühnenrand einige Endzeit- und Katastrophen-Collagen als Videoprojektionen bei.

Der Regisseur arbeitet für die Personen Tammu und Inanna mit Doubles, was sich bisweilen fürs Nach-Vorne-Singen der Solisten als hilfreich erweist. Beim Tod , der wie in Gottfried von Einems Oper „Jesu Hochzeit“ als weibliche Figur, als „Schwester Tod“ angesprochen wird, aber männlich besetzt ist, muss Inanna ihre diversen Schmuck- und  Kleidungstücke und ihr „Schamtuch“ ablegen, was dann ebenfalls mit Hilfe des Doubles umgesetzt wird.

Das als eine postapokalyptische Zukunft intendierte Gesamtbild wirkt bei aller Perfektion der Solistenführung und schließlich vorherrschender Statik der Chöre insgesamt doch etwas antiquiert – was aber zweifellos auch zum uneingeschränkten Erfolg des Premierenabends beigetragen hat.

Insbesondere aber basiert diese Uraufführung auf erstklassigen gesanglichen Leistungen: Das sind die sich an Stimmschönheit und darstellerischer Intensität überbietenden Solistinnen Mojca Erdmann als liebenswert balsamische Seele, Marina Prudenskaja als wallender Euphrat und Susanne Elkmark als vielfältige sinnlich berückende Inanna.  Der Tenor Charles Workman als Tammu, der Counter Andrew Watts als Skorpionmensch, der Bassist John Tomlinson als Priesterkönig, der Knabe Arne Niermann als Bote und Kind bringen gleichermaßen überzeugende Leistungen wie der als ein clownesk-skurriler Tod für Höhepunkte besonderer Art sorgende Bariton Otto Katzameier.

Daneben zahlreiche weitere  Solisten, durchaus rollendeckend, und die gewaltigen, von Martin Wright und Anna Milukova einstudierten Chöre, getragen von einem ungewöhnlichen Klangteppich – Staatskapelle Berlin plus Orchesterakademie.

Ein vielfältig faszinierender Musiktheater-Abend als ein Muss für alle Opernfreunde!

  • Weitere Aufführungen: 11., 20., 22. und 24. 3. 2019.

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