Was hat Aribert Reimann mit Udo Lindenberg gemein? Nun, beide erhielten zum Beispiel den „Frankfurter Musikpreis“, könnte ich oberflächlich klittern. Meine ganz persönliche Antwort: Reimanns „Lear“ hat mich seinerzeit zutiefst beeindruckt. Udos „Keine-Panik“-Show, die mich kürzlich zu Begeisterung hinriss, ebenso. Sie werden vielleicht sagen: Äpfel kann man nicht mit Birnen vergleichen. „Lear“ ist hohe Kunst, „Keine Panik“ vielleicht eine Art Super-Roncalli. Für mich jedenfalls, den hartnäckigen Verfechter klanglicher Zukunftswerkstätten, den Verächter flachen Kommerzgedudels, hatte das Bekenntnis, ein überwältigendes Rock-Spektakel genossen zu haben, recht widersprüchliche Folgen.
Im engeren Redaktionszirkel wurde verständnisvoll gelächelt – jetzt entdeckt der Alte wohl seine Kindheit wieder. Zeit für die Rente. Mein Schwiegervater drohte mir an, die Freundschaft zu kündigen – wegen offensichtlich schleichender Verblödung. Die Eintrittskarte hatte mir meine Tochter spendiert, „damit ich mir nicht nur immer das unsinnliche Geschrappe elitärer zeitgenössischer Tonsetzer reinziehen muss“.
Womit wir endlich beim Thema wären, zu dem mich auch ein Beitrag von Moritz Eggert im „Bad Blog“ der nmz angestoßen hat. Unter dem Titel „Warum die Welt in meiner Musik vorkommt“ schreibt er etwas forsch unter anderem: „Eines der nutzlosesten Klischees der Neuen Musik ist die Prämisse, dass Neue Musik ‚autark‘ zu klingen hat. Sie darf nicht klingen wie etwas Anderes als Neue Musik, denn nur dann hat sie ein Recht darauf, in ihrer ökologischen Nische zu existieren. Wenn in irgendeinem Moment etwas Anderes erklingt als das, was man ‚materialästhetisch‘ mit Neuer Musik assoziiert, wird das als Makel empfunden. Die Musik ist dann quasi mit etwas verschmutzt, das möglicherweise trivial, gewöhnlich oder minderwertig sein könnte, also nicht ‚erhaben‘ genug. Das darf nicht sein, und ist im Kontext akademischer Musik unerwünscht …“ Und weil ein Blog bekanntlich ein diskursives Medium ist, folgt der Widerspruch auf dem Fuße: „Wenn du zwischen Schumann und Rex Gildo keinen qualitativen Unterschied erkennst, hast du vielleicht deinen Beruf verfehlt…“ – Ja, knackig geht es zu zwischen den Apfel-Apologeten und den Birnen-Verfechtern.
Dabei handelt es sich dann nicht um „Geschmackssachen“ sondern um knallhartes Werteverständnis. Und die Fronten wirken maximal verhärtet. In den 30 Jahren als Herausgeber und Chefredakteur dieses Blattes war mir immer daran gelegen – bei allem Engagement für die innovativen und oft gefährdeten Entwicklungszentren Neuer Musik – einer breitgefächerten ästhetischen und kulturpolitischen Diskussion Raum zu geben – zugegeben mit gewisser idealistischer Schlagseite. Das soll sich auch nicht ändern, mit vielleicht etwas ausgeglichenerem Engagement für die unterschiedlichen Obstsorten. Von Louis Armstrong (nicht von Hermann Rauhe) stammt der Satz: „Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte. Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du spielst.“ Zu ergänzen mit dem Hinweis: Den Unterschied zu erkennen bedarf es guten Musikunterrichtes, möglichst umfassender musikalischer Bildung. Einen in diesem Sinne vitaminreichen Sommer wünscht:
Theo Geißler