Hauptbild
Titelseite der nmz 2020/03
Titelseite der nmz 2020/03
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Alt und Neu

Untertitel
Theo Geißler zur Musikmesse in Frankfurt 2020
Publikationsdatum
Body

Gestatten Sie mir bitte eine kurze, sehr subjektive, sentimentale Zeitreise: Nach meinem Gefühl müsste die Frankfurter Musikmesse eigentlich schon ihren fünfzigsten Geburtstag begehen. Denn gefühlt war ich wenigstens so oft als mental häufig gespaltene Mixtur – mal Journalist, mal Aussteller, mal Moderator – bei diesem gerade in den ersten Jahrzehnten rasant wachsenden Zusammentreffen fast aller erdenklichen musikaffinen Erscheinungsformen. Dabei startete dieser Event meiner Erinnerung nach als Appendix einer recht allgemein bestückten Konsumgüter-Messe sozusagen im Hinterzimmer der flach gedrungenen Halle Acht sehr bescheiden.

In kleinen Kojen ersehnten zum Beispiel Musikverleger den Besuch der seinerzeit noch vielerorts vorhandenen Musikalienhändler. Komponisten und Interpreten leicht transportabler Instrumente versuchten zaghaft, ihre papierenen oder möglichst leise klingenden Produkte an Frau oder Mann zu bringen. Und als Filmstudent und Promoter der musikalischen Früherziehung erkühnte ich mich Mitte der Siebziger vergangener Jahrhunderte, ein schwarzweiß auf VHS gezittertes Unterrichtsmodell in einem sonnigen Hallenwinkel zu präsentieren: ein revolutionärer Reinfall.

Überhaupt gab es in Sachen Marketing ausgiebige Diskussionen mit dem damaligen ebenso geduldigen wie humorvollen Messechef Wilhelm-Peter Hosenseidl, der meine regelmäßigen spitzen Glossen über die kommerzielle Dominanz im Verhältnis zur zarten Seele der holden Frau Musica meist unerschütterlich ertrug. Anfang der Neunziger dann verhakte ich mich als neodigitaler Fortschrittsgläubiger in Science-Fiction-Fantasien: Dezentrale digitale Messen, holographische Flügel samt Superpianisten ins örtliche Klassenzimmer oder gar in den heimischen Hobbykeller gestreamt, statt aufwändiger körperlicher Messe-Präsenz, schien mir die realistische Zukunft.

Dann fand ich ausgerechnet im konventionellen Papierwinkel eine meiner menschlich und künstlerisch erfreulichsten Partnerschaften als Verleger – ganz nebenbei auch eine der erfolgreichsten – mit dem Autorenteam von „Ritter Rost“. Es dauerte noch ein wenig, aber dann begann ich, die langsam einsetzende Stagnation der Messe – durchaus auch internetbedingt, der Musikalienhandel dünnte aus – eher besorgt zu verfolgen. Mir wurde klar, dass das persönliche Gespräch nicht durch Skype zu ersetzen ist. Dass die Aura „konventionellen“ Instrumentariums der „elektrischen“ oft überlegen ist. Nicht, dass ich vom Saulus zum Paulus geriet: Meine etwas flache musikalische Bildung erlaubt mir ein weites Geschmacks-Buffet.

Eher bewegt mich die Sorge um die persönlichkeitsverarmende Verdrängung des aktiven Musizierens durch die Bequemlichkeiten von Apple Music, Netflix & Co. dazu, der Frankfurter Musikmesse „ad multos annos“ zum Vierzigsten zu wünschen. Die optimale, zukunftssichernde Konfiguration ist sicherlich noch nicht erreicht. Ein bisserl mehr „echte“ Musik, ein bisserl weniger geschminkter Kommerz darfs schon noch sein. Aber zu den Kreativsten hierzulande gehören sicherlich die Musikmenschen aller Ausrichtungen. Wenn sie angemessen in die Konzeption eingebunden werden, richten sie es sicher aus.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!