Miloš Vacek findet man weder im Grove’s „Dictionary of Opera“ noch in Pipers „Enzyklopädie des Musiktheaters“, aber doch ist dem bestenfalls als Filmmusiker bekannt gewordenen tschechischen Komponisten mit seinem Komischen Singspiel nach Motiven von Hans Christian Andersen eine sehr sangliche Kinderoper gelungen. Die späte Uraufführung der 1965 in der Tschechoslowakei verbotenen, musikalisch ungebrochen an Smetana und Dvořák anknüpfenden Partitur „Des Kaisers neue Kleider“ wurde in der Komischen Oper Berlin zu einem vollen Erfolg. Darüber hätte sich der Komponist freuen können, aber er ist im Vorjahr mit 84 Jahren verstorben.
Kaum zu glauben, dass diese Märchenoper wirklich verboten war. Abgesehen vom grundsätzlichen Tabuthema eines nackten Menschen auf der Straße, boten vielleicht Wortspiele, wie „unfähig, Beamte bloßzustellen“, damals Anlass zum Veto. Und danach ist diese Partitur, die etwas penetrant und dramaturgisch unklar Wagners Gralsglockenthema zitiert, als Spielvorlage dann in Vergessenheit geraten.
Maximilian von Eitelstein heißt der in Andersens Märchen namenlose, die Mode liebende Kaiser in der Oper, und seine Insignien „MvE“ prangen in Gold und mit Herzchen auf schwarzer Seide des Hauptvorhangs. Weitere drei identisch gestaltete Spielvorhänge verdecken zunächst jene Bühnen, welche in Tiefenstaffelung den Raum des ersten Aktes bilden (Bühnenbild: Benita Roth). An goldenen, verquasten Seilen geöffnet, geben sie zunächst den Blick frei auf eine verschlafene, auf Kothurnen einher schreitende Hofgesellschaft, und schließlich auf den Kaiser selbst, der in einem Bett mit goldener Muschel liegt (was einen optischen Bezug zu Richard Strauss’ „Ägyptischer Helena“ schafft).
Aber dieser Kaiser muss nach dem Aufwachen erst zweimal aufs Klo, dessen Wasserspülung elektroakustisch laut übertragen wird. Alfred Mayerhofers ausgestellte Kostüme schlagen den Bogen zu Klaus Nomi, aber auch zu Modezar Rudolph Moshammer und seinem Hündchen. Einen weißen Zwergspitz mit Krönchen trägt auch der Carsten Sambrowski als Opern-Kaiser mit sich herum. Und „des Kaisers Hund“ tanzt sogar zur Kaiserhymne auf den Hinterbeinen. (Es bleibt zu hoffen, dass nicht übereifrige Tierschützer – wie unlängst in Nürnberg – die weiteren Auftritte des Hundes Nala verhindern werden. Eine Schar von Hühnern im dritten Akt sind allerdings vorsorglich nicht echt, sondern automatisierte, Wackelpuppen.)
Zunächst wird das Märchen linear nacherzählt, mit dem Haushofmeister als Conferencier. Aus den Betrügern der Märchenvorlage werden in der Opernhandlung zwei verliebte Wanderer: Jan (Michael Pflumm) und Barnabas (Bogdan Taloş) zaubern in der Not ein Nicht-Design auf eine Kleiderpuppe. Dabei haben sie mit dem eitlen Kaiser leichtes Spiel, da ein die Wahrheit bekennender Schneider aus China (Stephan Boving) kurzerhand eingesperrt wird. Wie primär in der Operettenpraxis üblich, wird im dritten Akt noch eine neue Rolle eingeführt: ein Wirt (Karsten Küsters) fährt mit einem Auto vor und offeriert dem Volk gegrillte Hähnchen und Wein.
Schrill bellt und miaut die Prinzessin Culifinda (Cornelia Zink), wenn sie nicht Koloraturen zu schmettern hat. Dass der kaiserliche „Unterhosenwärmer“ Benedikt Wachsam (Hans Gröning) mit Elektrogitarre um sie wirbt, unterstützt von Disco-Licht und mit dem Auftritts-Spruch „Hello Berlin!“, löst beim jungen Publikum die größte Begeisterung aus. Stimmlich die erfreulichste Erscheinung bietet Katarina Morfa aus dem Opernstudio als verliebte Kammerzofe Alena. Köstlich und stimmlich vielschichtig gestaltet Philipp Meierhöfer den Hofmeister. Sein mit Bestechungsgeld unternommener Auftrag an den Schwert tragenden Gardisten (Hauptmann der Bogenschützen: Hans-Peter Scheidegger), die beiden jungen Designer des neuen Kaiser-Gewandes zu erschießen, bleibt glücklicherweise unausgeführt.
Mit Bezug zu Lortzings „Zar und Zimmermann“ bemüht sich ein Schulmeister, dass der Chor (diesmal einstudiert von David Cavelius) eine Bewunderungskantate für den Kaiser vorträgt: aber die gerät nur zu einer Pups-Orgie. In der beschwingten Inszenierung von Lydia Steier tritt dieser Schulmeister als Komponist (mit Humperdinck-Maske: Volker Herden) in Erscheinung.
Auf den als Laufsteg zusammengestellten, rosafarbenen Biertischen präsentiert der Kaiser dann der Öffentlichkeit sein neues Gewand: er ist nicht ganz nackt (denn es ist ja eine Kinder-Oper!), aber doch nur in weißem Slip. Und die vom kaiserlichen „Oberhemdenbügler“ Alfred Schönling (Christoph Späth) scheinbar beliebig aus dem Publikum ausgewählten und auf die Bühne zitierten Kinder sagen nicht, „Der hat ja gar nichts an“, sondern „Der hat ja nur eine Unterhose an!“. Anschließend steht der König, von allen Untertanen verlassen, wahrlich im Regen, der aus einer Wattewolke auf ihn fällt. Aber dann erbarmt sich seiner der Wirt mit einem frisch gepressten Traubensaft aus jenem Container, in den auch der Hofmeister gesteckt worden war.
Schwungvoll interpretiert Dirigent Uwe Sandner Vaceks mit Ohrwürmern operierende oft operettennahe Musik, die in ihrer Melodik und Struktur selbstredend bereits im Jahre 1962 arg anachronistisch war. Aber keiner der Sänger, weder damals noch heute, hätte die hier verwendeten Microports nötig gehabt.
Sprachlich holprig sind die von Ulrich Lenz ins Deutsche übertragenen
Verse aus Miroslav Homolkas Libretto, welche der Haushofmeister dem jungen Publikum vor Beginn der Handlung einübt:
„Rinke, ranke, rinke ranke Rosen, / niemals ohne, ohne die Hosen!/ Hose aus, und du bist sofort raus. / Hose an, und du bist wieder dran. / Ohne Hose bist du nichts! / Eine kleine Mickymaus / zog sich mal die Hose aus. / Alte Kleider trägt man nicht, / denn die Mode ist hier Pflicht!“
Mitlesen lässt sich dieser Text nicht, denn diesmal gibt es keine Übertitelung (da das junge Zielpublikum noch nicht lesen kann oder sich doch lieber aufs Spiel konzentrieren soll?), und leider gibt es zu dieser Produktion auch kein Programmheft. Das Bilderbuch, das die Komische Oper in den Vorjahren stattdessen zu ihren Kinderopern-Produktionen offeriert hat, ist in diesem Jahr auf eine potenzielle Kauf-Empfehlung geschrumpft. Aber Noten und Sound der „Kaiser-Hymne“ lassen sich zur Vorbereitung auf den Opernbesuch herunterladen (www.komische-oper-berlin.de/download/5636/notenblatt_kaiser_kob.pdf).
Am Premierenabend gab es bei der Reprise der schwungvollen finalen Aussage zum Schlussapplaus rhythmisches Klatschen: ungebrochene Begeisterung bei den Kindern und angesichts dessen auch bei den Erwachsenen. Gelungene Publikumsbindung erfolgt auch im Anschluss an die Aufführung: Autogrammkarten werden verteilt, die Carsten Sabrowski als Kaiser Maximilian von Eitelstein im Foyer der Komischen Oper Berlin seinen jungen Fans unterzeichnet.
Weitere Aufführungen: 17. Oktober, 1., 5., 26., 28. November, 4., 10., 26., 28. Oktober, 8., 11., 18., 26. Dezember 2013, 20, 21. Februar 2014.