Nicht nur das Private, auch das Nostalgische ist politisch. So in etwa könnte sie lauten, die Überschrift über ein paralleles PerformanceKonzert in den Räumen einer aktuellen Ausstellung der Düsseldorfer Kunsthalle.
Zwischen den Exponaten der europaweit ersten Gesamtschau der chinesischen Textilkünstlerin Yin Xiuzhen wollten Gerhard Stäbler und Kunsu Shim einen „heiteren, vergnüglichen“ Abend in die Wege leiten. Womit Stäbler/Shim (dieser wohl markanteste Düsseldorfer Musiker-Neuzugang der letzten Jahre) den feinen Humor, das Understatement der Xiuzhen meinten. Freilich hatten sie sich damit auch dem Nostalgisierenden, diesem Weißt-du-noch zu stellen, das die Künstlerin umtreibt. Schnell wird man nämlich an deren Installationen gewahr, wie sehr die Hochgeschwindigkeits-Urbanisierung des neuen China nicht wenige lieb gewordene Gewohnheiten und Gegenstände des Alltags von gestern heute schon absolut kurios und total veraltet erscheinen lässt. Zum Beispiel dieser Kleinbus, der in den 90er Jahren vielen Familien die erste Mobilität bescherte. Xiuzhen hat ihn auseinander gesägt und dazwischen eine begehbare, mit säuselnder Beijing-Beijing-Musik ausstaffierte Textilraupe gebaut, eine aus Second-Hand-Klamotten zusammengenähte Ziehharmonika. „Collective Subconscious“, „kollektives Unterbewusstsein“.
Weißt Du noch?
Was der zivilisationskritischen Chinesin der Stoff und das nachgestellte Gefühl einer nicht von Staat und Partei vereinnahmten Kollektivität ist, das kehrt bei Stäbler/Shim wieder im Versuch, kollektive Heiterkeit als kunstvoll-heiteres Kollektiv zu kreieren. Bevor es los geht, geben Stäbler/Shim erst einmal urtümliche Musikinstrumente aus: Holzstäbe, blecherne Trommeln, Hufeisen. Der verächtliche Blick eines jugendlichen Besuchers (ganz offensichtlich mitgeschleift von den kunstsinnigen Eltern) ist dem Künstler-Duo da sicher. Und tatsächlich ist es schon ein klobig Ding von Sony-Tape-Recorder, das an diesem Abend den technologischen state of the art abgibt. Zum Einsatz kommt das Gerät in La Monte Youngs Ensemble-Performance „Composition 1960 # 7“. Wenn die Geigerinnen des niederländischen Ensembles „Lunapark“ ihre langen Liegetöne in den Raum setzen, kommt ein anderes Ensemblemitglied daher und hält ihnen den Recorder im RecModus vor die Nase. Sind die Musikerinnen fertig, werden die Maschinchen zum Recorderschwarm zusammengebunden und im Wiedergabemodus durch die Luft gewirbelt. Eine schwirrende Endlosschleife, erzeugt mit den (nota bene) nostalgischen Mitteln der 60er Jahre.
Die Reaktionen im Publikum verhalten. Eine Kunsu Shim-Performance, in der sich das Ensemble seinerseits alter Klamotten bedient, sie in Stück reißt und damit das Publikum drapiert, erregt noch die meiste Heiterkeit. Da ist es denn auch, das Einfache, von dem wir glauben, dass es so schwer zu machen ist. Oder auch, wenn sich Gerhard Stäbler, zusammen mit den Lunapark-Musikerinnen im meisterhaften Grimassen-Schneiden üben. Etwas, was der (junge) Mensch heute ja nicht mehr macht. Ebensowenig wie er auf der Straße vor sich hinpfeift, wie er irgendetwas mit Sony-Tape-Recordern im Sinn oder Freude an den an diesem Abend zum Einsatz kommenden Musikinstrumenten hätte. Dies alles ist so aus der Welt gefallen, dass es ebenso anachronistisch wirkt wie der auseinandergesägte Textilbus der Xiuzhen. China ist weit weg. Aber eben doch nicht so weit, dass wir nicht auch in den von Xiuzhen rubrizierten Verlustmeldungen unsere eigenen wiedererkennen könnten. „Das neue Peking will immer nur den Fortschritt. Niemand kümmert sich um die Bewahrung des Alten“, kommentiert Yin Xiuzhen ihre Arbeiten.
… wenn er spielt
Gewiss, für Gerhard Stäbler liegt die Parallele dazu weniger im Wir-Gefühl einer freakigen VW-Bus-Erfahrung. Solches wäre abwegig. Die Verluste, auf die der Performer verweist, liegen eher im Atmosphärischen. Es sei die „Heiterkeit“, die (in der Kunst) verloren gegangen sei. In der Fluxus-Bewegung der 50er/60er Jahre sei das noch anders gewesen: Fließende Werke, fließende Wahrnehmungen, das Innere im Äußeren, das Äußere im Inneren. Was sich im Partitur-Ernst der konzertanten Abteilung dieses Performance-Konzerts freilich weniger vermittelte als im launigeren ersten Teil. Bemerkenswert wie sich immer noch und immer dann dieses spezielle Spannungsmoment einstellt, sobald das Geschehen auf dem Podium ins Publikum über- und eingreift.
So chaotisch diese „Beteiligung“ dann auch immer ist – irgendwie geht es um Schiller pur. Man weiß (zumindest der Deutschlehrer wusste es noch): Das war der, der der Meinung war, dass der Mensch nur dort und dann einer ist, wo und wenn er spielt. Egal mit was. Mit musealen Tape-Recordern, klobigen Blechtrommeln oder Lotosflöten, die im Treppenhaus der Kunsthalle die graphische Partitur des marokkanischen Modedesigners Aziz in schrilles Kreischen verwandelten.
So schied man. Ziemlich übereinstimmend mit dem Bewusstsein: Sollte man wiederholen. Allein schon wegen der Heiterkeit. Denn auch die will (wieder) gelernt sein.