Hauptbild
Amanda Majeski und Daniel Behle als  Humperdincks „Königskinder“, im Hintergrund Nikolay Borchev als Spielman sowie Ensemble und Chor der Oper Frankfurt. Foto: Wolfgang Runkel
Amanda Majeski und Daniel Behle als Humperdincks „Königskinder“, im Hintergrund Nikolay Borchev als Spielman sowie Ensemble und Chor der Oper Frankfurt. Foto: Wolfgang Runkel
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Anti-Märchen in „Höllastadt“: Engelbert Humperdincks „Königskinder“ an der Oper Frankfurt

Publikationsdatum
Body

Sie können zusammen nicht kommen, die Wunden sind viel zu tief: Vergeblich strecken die Königskinder in David Böschs Frankfurter Inszenierung am Ende ihre Hände aus. Mit diesen haben sie sich zuvor gegenseitig das Schwert in den Leib gestoßen, weil das verwunschene Brot den ersehnten Liebestod nicht hatte herbeiführen können.

In Engelbert Humperdincks Bühnenwerk „Königskinder“, das trotz der Umarbeitung vom zukunftsweisenden, Schönbergs Sprechnotation vorwegnehmenden Melodram in eine veritable Oper nie aus dem Schatten von „Hänsel und Gretel“ heraustreten konnte, gibt es keine heile Welt. Dem Bannkreis der Hexe entkommen, wird die Gänsemagd in der Stadt nicht wie prophezeit als künftige Königin willkommen geheißen, sondern mit ihrem Geliebten, dem inkognito verbleibenden Königssohn umgehend verjagt. Im winterlichen Wald wartet als Erlösung nur der Tod.

David Bösch findet in Frankfurt für dieses düstere, von der Librettistin Elsa Bernstein-Porges mit symbolistischen Elementen aufgeladene Anti-Märchen eine schlichte, treffende Bildsprache. Auf schwarzer, schräger Spielfläche ist mit Kreide der kleine Entfaltungsraum aufgemalt, den die Hexe ihrer Ziehenkelin gönnt. Aus Papierfiguren erschafft diese sich dort eine Fantasiewelt aus Blumen und Tieren, schon in jungen Jahren hat sie Suizidgedanken.

Die Zivilisation heißt bei Bösch nicht „Hella“- sondern „Höllastadt“, aus Bodenluken schaut das dumpfe Völkchen mit Schweinemasken hervor und wird per Schlauchsystem aus einem Weinkanister bei übler Laune gehalten. Im dritten Akt scheinen sich auch die Kinder aus der Stadt – sie allein haben die Königskinder als solche erkannt und suchen sie nun gemeinsam mit dem geächteten, geschundenen Spielmann – zum Sterben niederzulegen, als sie das tote Paar vorfinden. Ihre letzte gesungene Anrufung könnte also aus demselben Reich kommen, in das die Königskinder sich freiwillig begeben haben.

Trotz gelegentlicher Anflüge regietheatraler Drastik lässt David Bösch seine Deutung in einer Schwebe, die immer wieder märchenhafte Poetik, bisweilen aber auch eine gewisse Unentschlossenheit ausstrahlt. Beglaubigt wird diese Produktion indes durch eine fabelhafte Besetzung und Sebastian Weigles detailgenaues Dirigat. Nie gibt sich der Frankfurter GMD mit reinem Schwelgen in Humperdincks wunderbar transparenter, den Wagnerklang farbig zerstäubender Partitur zufrieden, sondern setzt innerhalb des vom Museumsorchester herrlich ausgesungenen Bogens immer wieder dramatisch abgedunkelte Akzente.

Betörender Gesang entströmt dem auch vom jugendlichen Typus her ideal besetzten Königskinderpaar: Amanda Majeski als Gänsemagd vermag aus nach innen gekehrter, tragfähige Pianissimi in den Raum stellender Lyrik heraus das Orchester mühelos zu überstrahlen; Daniel Behles bis in die Höhe lockerer Königssohn ist eine elektrisierende Kreuzung aus Liedsänger und Jungheld.

Aus dem bis in kleinste Nebenrollen hinein prägnant und vokal erstklassig bestückten Ensemble seien Julia Juons nicht bloß keifende, sondern gesanglich messerscharf gestaltende Hexe und Nikolay Borchevs zwischen unbekümmertem Aufblühen und melancholischer Todesahnung wunderbar changierender Spielmann ebenso ausdrücklich genannt wie Chor und Kinderchor der Frankfurter Oper, wobei aus letzterem Chiara Bäuml als Besenbinder-Tochter überaus stimmig besetzt werden konnte.

Nur David Bösch traut der musikalischen Sternstunde (die erfreulicherweise für eine CD-Produktion bei OehmsClassics mitgeschnitten wurde) nicht über den Weg: Auch dem Spielmann, der sich mit roter Farbe die Pulsadern blutig ritzt und fünf Notenlinien mit Violinschlüssel auf den Oberkörper malt, gelingt es am Ende nicht, mit ausgestreckten Armen die Verbindung zwischen den toten Königskinderkörpern herzustellen. Ihre Wunden heilt nicht einmal märchenhafte Musik.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!