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Titelseite der nmz 2022/07-08
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Theo Geißler über Musikbranchen-Claims im Angesicht des Krieges
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An vielleicht etwas ungewöhnlicher Stelle folgt ein Leserbrief der männlichen nmz-Herausgeber-Hälfte: einige Bemerkungen zu „Ferchows Fenstersturz“ auf Seite 14 der vorigen Ausgabe. Der Autor behauptet an einer Reihe von Beispielen, die Musikbranche hätte angemessene Solidarität mit der Ukraine wider den kriegerischen Überfall der Russen vermissen lassen. Er führt dabei eine Reihe von Beispielen aus dem Stilspektrum der kommerziellen Pop- und Rockmusik an. Andererseits weisen umfangreiche Veranstaltungslisten auf den Websites der eher kultur- und bildungspolitisch ausgerichteten Musikverbände (und natürlich auch der nmz) viele hundert Konzertveranstaltungen mit Begegnungs- und/oder Benefizcharakter aus.

Schul-, Amateur- und Profi-Ensembles, Solistinnen und Solisten, Chöre und Diskussionsrunden haben sich materiell und ideell für die Unterstützung des ukrainischen Volkes stark gemacht und tun dies weiter. Freilich oft nicht mit der angemessenen Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. Mediales Starprotz-Geflimmer und digitales Influencer-Talmi, deren Glaubwürdigkeit nicht immer solide, deren Spenden-Verteilungsmechanismen teils schwer durchschaubar sind, schöpfen Aufmerksamkeit ab. 

Wie dem auch sei: Möglicherweise gerade kulturpolitisch engagierte, musikalisch anspruchsvolle Initiativen vergraulen aufgrund einer gewissen Verknöcherung und Abnutzung ihrer Claims, ihrer Testimonial-Lieferanten gerade wertebewusste junge Menschen. Die haben oft ein sehr feines Gespür für Gewicht und Wahrhaftigkeit gern genutzter lobender Gemeinplätze. Einige aktuelle und zeitlose Inbrunst-Thesen mit meterlanger Pinocchio-Nase: „Im gemeinsamen Musizieren manifestieren sich gegenseitiger Respekt und emotionale Nähe“, „weil Musik eine Sprache ist, die man auf der ganzen Welt versteht“, „weil Musik über alle Grenzen hinweg Menschen und Kulturen verbindet und so Frieden schafft“ oder: „Wo man singt, da lass Dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“.

Die Autorinnen und Autoren sind auf der Website des Deutschen Musikrates zu finden – zum „Tag der Musik“. Der wurde kurzerhand aus gegebenem Anlass in „Tag des Friedens“ umbenannt unter der Headline: „Musik ist Frieden“. Man höre und staune: Beethovens Orchesterwerk „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“, „Heiß über Afrikas Boden die Sonne glüht, unsere Panzermotoren singen ihr Lied…“, „Frau Wirtin hatt’ nen General…“, „Auf die Kippe mit der Kippa“… Da sehnt man sich fast nach „Ein bisschen Frieden“, 1982 im Umfeld des Falklandkrieges zum European Song-Contest-Sieger gekürt.

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