Wenn Peter Michael Hamel die Welt musikalisch umarmt, geht niemandem die Luft aus. Er engt nicht eurozentrisch ein, sondern lebt eine Durchlässigkeit, die Unterschiede hörbar macht und dabei doch der gemeinsamen Harmonie der Dissonanz auf der Spur ist. Seit 1997 war Hamel als Professor für Komposition und Theorie an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater tätig – in der Nachfolge eines György Ligeti. Jetzt, kurz vor seinem 65. Geburtstag, verabschiedete der Komponist sich aus dem Hochschuldienst – mit einem Projekt, das ganz seine unverwechselbare Handschrift trägt.
„Die Klangreise des Ibn Battuta“ nennt Peter Michael Hamel sein Abschiedskonzert, das zugleich ein Revival der ältesten Weltmusikgruppe Deutschlands ist. Seine „Embryo-Bande“, wie Hamel seine immer noch wilde Truppe nennt, wurde in den nicht nur politisch bewegten Zeiten der ausgehenden 60er Jahre gegründet. Begeistertes Lob erhielten sie seinerzeit gar von Miles Davis, der befand: „Das sind Hippies, die verrücktes Zeug und schräge Rhythmen spielen und großartig improvisieren können.“ Ähnliches lässt sich auch von dem aktuellen Auftritt behaupten. Embryo-Gründer Christian Burchard ist höchstselbst dabei, er macht, barfuß Bodenhaftung und den Kontakt zum gemeinsamen Groove findend, auf Mikrotonmarimba und Vibraphon deutlich, dass Vierteltöne beileibe keine Erfindung der Neutöner sind, sondern fest zum Materialbestand der östlichen Musikkulturen zählen. Xizhi Nie macht eben dies auf den Zauberwerkzeugen aus dem Reich der Mitte deutlich, er bedient Cheng und Erhu mit einer meditativen Erdung, über die wohl nur eine Asiate verfügt. Roman Bunka steuert kontemplative, arabisch gefärbte Töne auf der Oud, der Laute des Ostens, bei.
Hamel selbst, der erst aus dem Publikum seinen alten Freunden und Mitstreitern gelauscht hat, begibt sich dann an den Flügel, der sich in seiner westlichen Wohltemperiertheit den Ethno-Experimenten von Embryo eigentlich entziehen müsste. Doch irgendwie überwindet Hamel auch solche Beschränkungen. In das improvisatorisch durchdrungene, das wilde und milde, das aufregende und sehr entspannte große Ganze streut er Hildegard von Bingen ebenso ein wie Olivier Messiaen. Und er gibt die Impulse für die finale jazzige Open Stage Session, zu der auch das Publikum eingeladen ist, sich nach Lust und Laune auf der Bühne zu betätigen.
Peter Michael Hamel zeigt zu Beginn seiner vorlesungsfreien Zeit also einmal mehr mit der List des Utopisten sein künstlerisches Selbstverständnis – als komponierender Integrator, westöstlicher Versöhner, großer Unbequemer, seine Studierenden zu Individuen heranziehender Professor, Gegner einer rationalistisch orientierten Avantgarde und Kämpfer für freie Grenzen zwischen den musikalischen Stilen, Schulen und Kulturen. Für diesen Abend den Ibn Battuta als Vorbild zu wählen, ist mehr als passend. 1304 im marokkanischen Tanger geboren, wird er zum lebenslangen Weltreisenden. Ganz konkret ist Hamel mit seiner Embryo-Band auf den Spuren jenes Marco Polo des Orients gewandelt, hat dessen Forschungsreisen musikalisch nachvollzogen. So wurde dann auch immer wieder gemeinsam mit einheimischen Meistern musiziert.
Von welchem Geist Hamel und die Seinen bei ihren Reisen durchdrungen sind, wurde schon vorab bei der akademischen Verabschiedung des Komponisten deutlich. Da hob er gemeinsam mit Niklas Schmidt am Cello ein neues Werk für Violoncello und Bordun aus der Taufe. Das kühne Amalgam zwischen Minimal Music und Orientalismen zeugte so ganz von Hamels Weg einer Anverwandlung, die keine Vereinnahmung sein will. Wer dies glücklich feststellte und hernach ins Programm blickte, fand die Bestätigung: Das Stück heißt „Anverwandlungen“.