Roberto Paternostro, erfahrener Wagner-Dirigent in der Oper und auf CD, ist seit eineinhalb Jahren Chefdirigent des Israel Chamber Orchestra. „Große Schwierigkeiten“ handelte er sich ein mit der Bekanntgabe seiner Planung, der von ihm geleitete Klangkörper werde erstmals Wagner zur Aufführung zu bringen – und dies auch noch in Bayreuth.
Auf der Pressekonferenz im Richard-Wagner-Saal der Städtischen Musikschule Bayreuth, wenige Stunden nach Ankunft des Orchesters aus Tel Aviv, berichtete der junge Soloklarinettist des ICO, Danny Erdmann, wie er 2001 mit seinen Eltern in Jerusalem das Konzert der Berliner Staatskapelle erlebt hatte, in welchem Daniel Barenboim nach einer 40-minütigen Diskussion mit dem Publikum Wagners „Tristan“-Vorspiel und Isoldes Liebestod erstmals in Israel zur Aufführung gebracht hatte. Ihn habe sehr beeindruckt, dass dabei nur rund 40 Besucher schimpfend und fluchend das Auditorium verlassen hätten, noch mehr beeindruckt aber habe ihn damals Wagners Musik, – und nun spiele er selbst Wagner in Bayreuth.
Festspielchefin Katharina Wagner hat die Schirmherrschaft für das Konzert in der Bayreuther Stadthalle übernommen, ließ sich aber bei einer Pressekonferenz in Israel ebenso entschuldigen, wie jetzt auch in Bayreuth, wo Oberbürgermeister Dr. Michael Hohl ein Statement von ihr verlas.
Chefdirigent Roberto Paternostro hebt die Künstlerschaft des ICO hervor, fern jeglicher politischen Absicht. Dabei versteht er sein Engagement durchaus als einen „musikalischen Brückenschlag“. Er betont seinen „allergrößten Respekt vor Menschen, die durch die Hölle des Holocaust gegangen“ sind. Um deren Gefühle nicht zu verletzen, wurde das „Siegfried-Idyll“ auch nicht in Israel, sondern erst in Bayreuth geprobt. Die Musiker hatten ihre Orchesterstimmen aber schon in Israel erhalten.
Zur Vorbereitung des Orchesters auf Wagner habe es einen Vortrag des israelischen Musikologen Zimmermann gegeben. Paternostro war nicht dabei, denn der Dirigent spricht selbst nicht hebräisch, obgleich Teile seiner Familie in Israel leben.
In der öffentlichen Diskussion über sein Projekt war ihm vorgeworfen worden, er sei kein richtiger Israeli und könne die Problematik nicht nachvollziehen.
Ihm sei bewusst, dass „der Name Wagner in Israel zum Symbol für das Böse geworden“ sei. Doch dem Vorstoß, seinem Orchester wegen des geplanten Bayreuther Gastspiels die Subventionen zu streichen, sei die dortige Kultusministerin strikt begegnet, die Kunst sei frei – auch in Israel.
Seinem Orchester sei bereits bei seinem Engagement bekannt gewesen, dass er Richard Wagner sehr liebe und verehre, und er habe dem ICO seine Wagner-Erfahrungen verbal vermittelt. Und vor einem Jahr habe das Orchester bereits „hinter verschlossenen Türen in der Stuttgarter Liederhalle“ Wagners „Siegfried-Idyll“ erstmals durchgespielt.
Bei Musikfreunden in Israel, die auch Wagner-Aufführungen auf CD besitzen, sei seine Absicht auf große Zustimmung gestoßen; sie hätten ihm beigepflichtet, es werde Zeit, „dass wir uns mit diesem Komponisten auseinandersetzen“. Paternosto hofft, dass man in Israel mit dem Musiker Richard Wagner, dessen „Tristan“-Partitur erst die Musik des 20. Jahrhunderts ermöglicht habe, – fern von dessen Antisemitismus – in angemessener Weise umzugehen lerne; „dessen Pamphlet ‚Das Judentum in der Musik’ werden sie nie super finden!“
Ganz unabhängig von Paternostros Konzertplanung für Bayreuth, habe sich in Israel im vergangenen Jahr ein erster Wagner-Verband konstituiert.
Alle Instrumentalisten des Israel Chamber Orchestra hätten sich freiwillig bereit erklärt, am Konzert in Bayreuth teilzunehmen und die Tournee, die das IOC dann zum Mahler-Festival in Italien weiterführen wird, mitzumachen. Nur einer der 36 Instrumentalisten habe die Reise kurzfristig, aus gesundheitlichen Gründen, abgesagt.
Zur Sicherheit gibt es im ICO Guest Player, so dass die ersten Violinen siebenfach besetzt sind, auch bei Wagners „Siegfried-Idyll“, dessen Streicher der Dirigent – entgegen Wagners häuslicher Uraufführung – chorisch besetzt. Paternostro meint, Wagner hätte es sicher auch mit mehr Streichern ausgeführt, wenn es im Tribschener Treppenhaus mehr Platz gegeben hätte.
Der israelische Komponist Tzvi Avni, mit dessen Streicherkomposition „Prayer“ das Bayreuther Konzert eröffnet werde, sei vor über 80 Jahren in Saarbrücken geboren worden, und auch er freue sich über die Bayreuther Erstaufführung seiner Komposition, gefolgt von Gustav Mahlers Rückert-Liedern (in einer Streicher-Bearbeitung des Baritons Dietrich Henschel), Felix Mendelssohn-Bartholdys Italienischer Symphonie und dem „Angelus“ aus den „Années de Pèleringe“ in Liszts Fassung für Streicher.
Die Frage, ob er demnächst auch in Israel eine Aufführung des „Siegfried-Idyll“ plane, beantwortet Paternostro indifferent: „Lassen Sie uns den nächsten Schritt überlegen!“
Konzerttermin:
Bayreuth, 26. Juli 2011, 11 Uhr.
[Update27.7.]:
«Geste der Versöhnung» in Bayreuth
Angelika Rausch - dapd
Bayreuth - Nach dem «Angelus» von Franz Liszt herrschte Totenstille, Dirigent Roberto Paternostro ließ seinen angespannten Musikern lange Zeit zur Konzentration, einige wurden noch rasch einen Seufzer der Anspannung los. Dann war es so weit: Die ersten Takte aus Richard Wagners «Siegfriedidyll» erklangen in der Stadthalle von Bayreuth und damit spielte das Israel Chamber Orchestra aus Tel Aviv zum ersten Mal die Musik Wagners. Und es spielte sie am Dienstag so beseelt und warm in der Stadt, die in der Ideologie der Nationalsozialisten eine besondere Rolle einnahm. Es wurde ein großer Triumph für die Musiker. Rund 700 Besucher feierten das gelöste Orchester minutenlang, und die Musiker beglückwünschten sich gegenseitig.
Eine «Geste der Versöhnung», lobte Bayreuths Oberbürgermeister Michael Hohl (CSU) vor Beginn der Aufführung die Reise der Gäste. Schon vor dem Konzert gab es daher großen Applaus für das Orchester, das einen «langen und steinigen Weg» gegangen war, um schließlich mit der Musik Richard Wagners in die Öffentlichkeit zu treten, wie Paternostro vor dem Konzert betont hatte. «Dies ist ein besonderes Ereignis, weil es die Ängste und emotionale Auseinandersetzung in der israelischen Gesellschaft im Gedächtnis trägt», erklärte der Orchestervorstand. Richard Wagner und Bayreuth - «zwei wichtige Namen, die zwischen uns stehen, zwischen Israelis und Deutschen».
Angespannter Beginn
Das Orchester begann seinen Auftritt noch sehr angespannt und mit der israelischen Nationalhymne. Es folgt ein Werk eines zeitgenössischen israelischen Komponisten, Svi Avni, der in Deutschland geboren wurde und vor dem Zweiten Weltkrieg nach Israel emigirierte. Danach gab es Gustav Mahler und Felix Mendelssohn-Bartholdy zu hören. Bariton Dietrich Henschel sorgte mit seinen Rückert-Liedern für einen ersten Höhepunkt des Konzerts. Ein Mann mit Blumen und Kerze in der Hand, auf dem Kopf eine Kippa, stürmte an den Bühnenrand und bedankte sich bei dem Sänger.
Nach dem «Siegfried-Idyll», einer Fantasie über Themen aus der Oper «Siegfried», die Wagner am Weihnachtsmorgen für seine Frau Cosima im Treppenhaus aufführen ließ, gab es neben dem nicht enden wollenden Applaus auch Blumen für den Dirigenten in den Nationalfarben Israels, an denen kleine deutsche und israelische Fähnchen hefteten. Und Paternostro bedankte sich seinerseits bei der Chefin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner, einer Urenkelin des Komponisten, für ihr Engagement am Zustandekommen dieses denkwürdigen Konzertes.
«Ein sehr bewegendes Konzert - einfach wunderbar», sagte Zuhörerin Marlies Günter, die bereits bei den beiden Proben dabei war. Sie lobte die Musiker für ihren Mut, neue Wege zu gehen. Und ihr Ehemann Paul freute sich besonders über die Aufzeichnung des Konzerts. «Fünf Kameras eines japanischen Teams nehmen alles auf. Vielleicht wird man es dann mal auf DVD bekommen», sagte er.