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Klaus Kugel (drums), Petras Vysniauskas (sopran sax) und Mark Tokar (bass). Foto: Matthias Zwarg
Klaus Kugel (drums), Petras Vysniauskas (sopran sax) und Mark Tokar (bass). Foto: Matthias Zwarg
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Auf abenteuerlichen Osteuropa-Expeditionen: Klaus Kugel und sein Trio

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Klaus Kugel wohnt so ziemlich in der westlichsten Ecke Deutschlands, nahe der belgischen Grenze. Seine Konzertourneen und auch die inzwischen recht umfangreich gewordene Diskographie spielen sich jedoch weitestgehend in genau entgegengesetzter Himmelsrichtung ab - weit im Osten.

Im Sommer war mal die Zeit für eines der immer seltener werdenden Konzerte in seinem Heimatland. Im sächsischen Glauchau, einem der letzten reinen Free-Jazz-Festivals, war Klaus Kugel mit seinem Trio für den internationalen Part zuständig. Dabei sein langjähriger Sopransaxofon-Partner Petras Vysniauskas aus Litauen und der Bassist Mark Tokar aus der Ukraine. Für einen Großteil des Publikums staunenswertes Neuland.
 
"Vor 20 Jahren begann mein Abenteuer Osteuropa. Noch vor der Wende, da gab es die alte Sowjetunion noch", erzählt Klaus Kugel, der damals noch in einem kleinen Dorf im Allgäu wohnte und während seines Musikstudiums in München gerade Freundschaft mit Vysniauskas geschlossen hatte. Bis zum ersten gemeinsamen Konzert in Litauen verging eine Ewigkeit, weil sich die russischen Behörden naturgemäß mit Jazz sehr schwer taten. "Das Visum gab es nur auf Einladung des Konzertveranstalters, die Bestätigung kam dann aus einem museumsreifen Telex-Gerät. Natürlich war dann auch der Flug nach Vilnius nur über Ost-Berlin möglich", erinnert sich Kugel an sein erstes Konzert in Osteuropa, das zum Schlüsselerlebnis für seine gesamte Jazz-Karriere wurde. Die politische Aufbruchstimmung, Glasnost und Perestroika, waren zwar noch lange nicht im verschlafenen Litauen angekommen, dafür aber gab es ein aufgeschlossenes und in Scharen in die Konzertsäle strömendes Publikum. Völlig ungewohnt für einen, der es gewohnt war, vor einer Handvoll Fans in verräucherten Jazzkellern zu spielen.

Vysniauskas stammt aus einem ganz kleinen Nest in Litauen. "Dort beschäftigen sich 95 Prozent ausschließlich mit Angeln und Schnapsbrennen", vermutet Kugel. Petras aber hatte sich schon als kleiner Junge in den Kopf gesetzt, die Jazzwelt zu erobern. Und das haben beide, Kugel und Vysniauskas, im noch heute existierenden Trio mit dem inzwischen in Israel lebenden Ausnahmepianisten Vjacheslav Ganelin geschafft. Der Auftritt vor zwei Jahren beim von William Parker organisierten Vision Festival in New York war für alle drei dann letztlich auch der Durchbruch in den USA. Klaus Kugel spielt seitdem immer häufiger mit dem Posaunisten Steve Swell und dem Saxofonisten Sabir Mateen, für die er die ersten und bis heute äußerst raren Konzerte in Deutschland organisierte. Auch Roy Campbell, Bobby Few, Perry Robinson und Charles Gayle gehören zu Kugels Musikerkollegen. Das alles findet freilich mangels Auftrittsmöglichkeiten nach wie vor kaum in Deutschland statt, dafür in Polen, in der Ukraine oder in Moskau. "Das Publikum im Osten ist genauso begeisterungsfähig geblieben wie vor zwei Jahrzehnten. Manchmal freilich auch mit einer herzzerreißenden Naivität, die auch ab und an die Tontechniker überkommt. Wenn die wie wild an ihren Lautstärkeregler rumspielen, dann schaffen sie es auch schon mal, ein ganzes Konzert zu verunstalten." Klaus Kugel lacht, nimmt die kleinen Tücken aber gern in Kauf, denn die Kreativität und der Mut der Konzertveranstalter und Musik-Produzenten sind einzigartig. Geradezu beispielgebend die polnische firma Nottwo, bei der in den letzten Jahren in äußerst liebevoller Aufmachung einige der weltweit wichtigsten Free-Jazz-Aufnahmen erschienen sind.

"Es war mal wieder schön in Deutschland zu spielen und das Gefühl zu haben, dass man den Nerv des Publikums getroffen hat", sagt Klaus Kugel nach dem schweißtreibenden Auftritt mit Vysniauskas und Tokar. Und dennoch: "Hätte dieses Festival ein paar hundert Kilometer weiter östlich stattgefunden, die Zahl der Zuhörer wäre drei Mal so groß gewesen und der Altersdurchschnitt wohl um 30 Jahre jünger." Nachdenklich machende Worte von einem der inzwischen wichtigsten deutschen Jazz-Drummer, der inzwischen leidlich ein paar Worte russisch und litauisch spricht und nach wie vor auf seine Lehrmeister Tony Williams und Elvin Jones schwört.
 

CD-Tipps:

Baltic Trio: Live at Jazz Welten Dresden 2005 (Petras Vysniauskas, Vladimir Volkov, Klaus Kugel) Bomba Piter/CDMAN 361-08

Charles Gayle Trio: Forgiveness (Charles Gayle, Hilliard Greene, Klaus Kugel) Nottwo MW 805-2

Steve Swell presents Rivers of Sound Ensemble (Steve Swell, Roy Campbell, Sabir Mateen, Hilliard Greene, Klaus Kugel) Nottwo MW 797-2

Ganelin TrioPriority: Live In Lugano (Vyacheslav Ganelin, Petras Vysniauskas, Klaus Kugel) Nottwo MW-783

DVD Ganelin Trio Priority: Live at the Lithuanian National Philharmony Vilnius (Nemu 005)

 

 

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