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Elise auf der Spur: Rita Steblin im Regensburger Stadtarchiv. Foto: J. M. Koch
Elise auf der Spur: Rita Steblin im Regensburger Stadtarchiv. Foto: J. M. Koch
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Auf der Suche nach Beethovens „Elise“

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Die kanadische Musikforscherin Rita Steblin hat gute Argumente für ihre Kandidatin, die Sängerin Elise Barensfeld
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„Um 7 gieng ich zu Lobkowitz wo heute sehr wenig Leute waren… Mlle Barensfeld ist sehr jung eine Eleve von Melzel und Schülerin von Siboni sie kann einmal da sie eine sehr starke Stimme hat, eine sehr gute Theatersängerin werden.“ Ein gewisses detektivisches Gespür ist wohl vonnöten, um diese Tagebuch-Notiz und den dazugehörigen Programmzettel, der den Vornamen besagter „Mlle Barensfeld“ mit „Lisette“ angibt, als Ausgangspunkt einer erfolgreichen Recherche zur mutmaßlichen Widmungsträgerin von Beethovens „Für Elise“ zu nehmen. Die in Wien tätige, kanadische Musikforscherin Rita Steblin hat dieses Gespür.

Sensibilisiert war die Wissenschaftlerin durch die Diskussion um jenen Namen, den Klaus Martin Kopitz vor drei Jahren als „Beet­hovens Elise“ ins Spiel gebracht hatte: Elisabeth Hummel, geb. Röckel – eine These, die von Michael Lorenz, mit beißender Kollegenschelte gewürzt, postwendend widerlegt wurde. Die umgekehrt proportional zur kompositorischen Bedeutung stehende Berühmtheit des kleinen a-Moll-Rondos sorgte dafür, dass es dieser Disput bis in den entsprechenden ARTE-Film in der Reihe „Große Werke entdecken“ schaffte. Während Kopitz auf seiner These beharrte, gab Lorenz zu Protokoll: „Ich weiß nicht, wer Elise war. Aber ich weiß, wer sie nicht war.“

Historie eines Rätsels

Schuld daran, dass Millionen von Klaviereleven und deren Zuhörer seit Generationen mit der gefühlt endlosen Wiederholung der Wechselnote e-dis behelligt werden, ist der Beethoven-Biograph Ludwig Nohl. Er fand 1865 in einem Münchner Nachlass das heute verschollene Manuskript des Stücks und veröffentlichte die Noten zwei Jahre später in einer Briefsammlung. Er überlieferte auch den Wortlaut der Widmung: „Für Elise am 27. April zur Erinnerung von L. v. Bthvn.“. Die Echtheit der Komposition ist durch Skizzeneinträge Beethovens aus dem Jahr 1810 verbürgt, die somit auch eine Datierung ermöglichen. Weil sich lange Zeit keine Dame aus Beethovens Umfeld fand, die als Widmungsträgerin in Frage kam, wurde Nohl unterstellt, er habe sich bei der Transkription einfach verlesen und es sei Therese Malfatti gemeint, der Beet­hoven zu dieser Zeit den Hof machte, und aus deren Nachlass das Werk ursprünglich stammte. 

Abgesehen davon, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass ein Kenner von Beethovens Handschrift ein solcher Fehler unterläuft, bliebe die Frage, warum der Komponist der gestandenen Pianistin ein derart schlichtes Opus hätte widmen sollen. Dies beschäftigte auch Rita Steblin, die in Abwägung der Faktenlage und neu gewonnener Erkenntnisse zu dem Schluss kommt: Elise Barensfeld, die einige Zeit als Wunderkind herumgereichte, spätere Kammersängerin der Großherzogin von Baden, die am 27. August 1796 in Regensburg als „Juliane Katharine Elisabet Barensfeld“ geboren wurde, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Beethovens „Elise“.

In Mälzels Schlepptau

„Elise“ Barensfeld (so die in Dokumenten immer wieder auftauchende Namensvariante) hatte, das haben Steblins Recherchen ergeben, ihre erste musikalische Ausbildung bei Johann Sterkel erhalten, der als Kapellmeister bei Fürstprimas Carl Theodor von Dalberg angestellt war. Spätestens seit 1809 war sie mit dem Regensburger Mechanikus und Beet­hoven-Freund Johann Nepomuk Mälzel auf Konzerttourneen unterwegs. Dieser präsentierte die lebende Sängerin in publikumswirksamer Kombination mit den Vorführungen seines mechanischen Trompeters. In einem zeitgenössischen Bericht aus München heißt es: „Herr Mälzel, ein geborner Regensburger, Verfertiger des berühmten und aus den französischen Blättern längst bekannten Panharmonikon, welches er in Paris für 100,000 Franken verkauft hat, producirt jetzt einen Trompeter als Automat, der nächst jenem Kunstwerke Alles übertrifft, was er jemals erfunden hat [...]. Aber hiemit war der Genuß an diesem Abende noch nicht geendigt, sondern Herr M. regalirte uns auch noch mit einem lebendigen Phänomene. Demoiselle Barensfeld, erst 11 Jahre alt [eigentlich war sie schon zwölf], eine Schülerin des Capellmeisters Sterkel, sang eine Arie aus den Horaziern von Cimarosa und ein Recitativ von Martin aus dem Baum der Diana mit einer Kunstfertigkeit und einer biegsamen Silberstimme, die, wenn ihr nicht die allzufrühen und allzu häufigen Anstrengungen schädlich werden, wie man allgemein befürchtet, uns vielleicht eine zweite Todi oder Mara in ihr erwarten läßt.“

Ihre Gesangsausbildung setzte Elise Barensfeld im selben Jahr bei Antonio Salieri und Giuseppe Siboni in Wien fort, wo sie mit Mälzel unter etwas dubiosen Umständen zusammen lebte. Die Verbindung zur späteren Besitzerin des „Elise“-Manuskripts Therese Malfatti ist eine geografische: Sie lebte direkt gegenüber von jenem Haus, das Mälzel und die „Demoiselle Barensfeld“ unweit des Stephansdoms bewohnten. Rita Steblin geht nun – einzig hier fehlt noch ein eindeutiger Beleg – davon aus, dass die Malfatti die 13-jährige Elise Barensfeld (in einem späteren Dokument wird sie auch als Pianistin bezeichnet) nicht nur als Nachbarin gekannt haben muss, sondern auch deren Klavierlehrerin gewesen sein könnte. Deshalb habe Beet­hoven Elise das leichte Rondo gewidmet, „um der heißgeliebten Therese einen Gefallen zu tun“, so die Forscherin, die im Gespräch durchaus zugibt, dass es hinsichtlich der Beethoven’schen Widmung letzte Fragezeichen gibt: „Natürlich habe ich auch Zweifel, aber Elise Barensfeld ist ab jetzt meine Kandidatin.“ 

Seitenstränge, Randnotizen

Einen Einblick in ihre akribische Arbeitsweise, in die zahllosen Seitenstränge und Randnotizen, die ein solches Vorhaben zutage fördert, gab Rita Steblin im Vorfeld des Vortrags, den sie unter großem Medieninteresse in Regensburg hielt. So hat sie in einem mächtigen Ordner alles zusammengefasst, was sie im Zusammenhang mit ihrer „Elise“-Recherche über den ebenfalls in Regensburg geborenen Musikmechanikus Johann Nepomuk Mälzel herausgefunden hat, jene ebenso schillernde wie nach wie vor rätselhafte Figur aus Beethovens Umfeld. 

Im März 1810 hatte Mälzel in Wien anlässlich der Hochzeit der österreichischen Prinzessin Marie Louise mit Napoleon eine Art „Installation“ konstruiert: Das Erkerfenster seiner Wohnung war mit einem Hohlspiegel-Porträt nebst Regenbogen dekoriert, sein ebenfalls sichtbarer kriegerischer Trompetenautomat war zugunsten einer von innen hörbaren „angenehmen“ Musik verstummt. Die Notiz darüber brachte der Forscherin letzte Gewissheit über Mälzels Wiener Wohnort, der sich somit direkt gegenüber dem Haus befand, das Therese Malfatti, Beethovens damalige Heiratskandidatin, zwischenzeitliche Besitzerin der „Elise“-Handschrift und mutmaßliche Klavierlehrerin Elise Barensfelds bewohnte.

Ähnlicher Spürsinn war bei der Auswertung polizeilicher Spitzelberichte gefragt – verkohlte Dokumente, aus denen Rita Steblin die pikanten Informationen über Mälzels Zusammenleben mit seiner „Elevin“, der als Wunderkind gefeierten Elise Barensfeld beziehen konnte: Die Sängerin fürchtete, nachdem Mälzel mehrfach betont hatte, „daß er sich nie vereheligen würde“, um ihren guten Ruf und verließ die Stadt mit Hilfe einer Freundin, der sie sich anvertraut hatte, im Jahr 1813.

Rätselhaft bleibt, was aus Elise Barensfeld wurde, nachdem sie bis 1820 als Kammersängerin der Großherzogin von Baden künstlerisch tätig war. Im Regensburger Stadtarchiv ist noch ihr Ersuchen dokumentiert, ihren kranken Stiefvater zu sich zu nehmen, doch dann bricht der Akt unerklärlicher Weise ab. Auch weitere Spuren, darunter eine rätselhafte Anfrage, die auf eine Emigration nach Amerika hindeutet, laufen ab diesem Zeitpunkt ins Leere. Auf ihre Tätigkeit als Sängerin war Elise Barensfeld zu diesem Zeitpunkt nicht mehr angewiesen. Mit 24 war sie nun volljährig und konnte das mehr als ansehnliche Erbe ihres in Wien (mit einer kleinen Schuldensumme bei Mälzel…) verstorbenen leiblichen Vaters antreten.

Eine durchaus nahe liegende Assoziation hatte Rita Steblin schließlich noch in Bezug auf Mälzels merkwürdige künstlerische Zusammenarbeit mit der jungen Sängerin: E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Die Automate“, die er in die Sammlung „Die Serapionsbrüder“ aufnahm und die Jacques Offenbach als Vorlage zu seiner Oper „Hoffmanns Erzählungen“ diente, erzählt von dem geheimnisvollen Musikautomaten-Professor X und einer von ihm unter Verschluss gehaltenen Sängerin. Wer weiß, vielleicht ist Elise Barensfeld nicht nur Mälzels Sängerin und Beethovens „Elise“, sondern auch Offenbachs „Antonia“ …

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