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Auf der Suche nach neuen Spielregeln

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Die Kulturflatrate stellt das gültige Urheberrecht in Frage
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Unter einer Kulturflatrate ist die Legalisierung der nichtkommerziellen Weitergabe und Vervielfältigung von digitalen, urheberrechtlich geschützten Werken über das Internet zu verstehen, für welche zum Ausgleich ein pauschales Entgelt zur Entschädigung der Rechteinhaber zu erheben und an diese abzuführen ist. Ihre Einführung wird derzeit von Politik und Interessensvertretern diskutiert (siehe auch das Interview mit Stefan Michalk).

Die Kulturflatrate würde für das bisherige Urheberrecht und seine praktische Umsetzung weitreichende Folgen haben. In der nmz-Redaktion herrschen zu diesem Thema unterschiedliche Auffassungen. Der folgende Dialog zwischen Barbara Haack, Mitherausgeberin der nmz, und nmz-Redakteur Martin Hufner geht über ein einfaches Pro und Contra hinaus: Flatrate klingt zwar einfach, erweist sich aber als komplexe Materie.

Martin Hufner: Es ist wieder etwas Bewegung in die Frage um die Einführung einer so genannten Kulturflatrate gekommen, seit der Bundesverband der Musikindustrie ein Positionspapier zu diesem Thema lancierte. Nun braucht es natürlich nicht ein Positionspapier der Musikindustrie, um über die Kulturflatrate nachzudenken. Dies erzwingt die rasante Entwicklung des Internets gewissermaßen system-immanent. Es steht nun die Frage im Raum, wie wir mit unserer Kultur umgehen wollen, welche Bedeutung wir ihr und den Kulturschaffenden in unserer Gesellschaft zuweisen wollen.

Hinderlich ist dabei, dass wir es leider gar nicht wissen. Kultur bewegt sich zwischen Kulturindustrie und kreativer Gesellschaftsentwicklung. Kultur ist der gesellschaftliche Treibstoff schlechthin, allein man kann ihn bezahlen, aber nicht kaufen. Käufliche Kultur verliert ihren Wert im Moment des Kaufens, das ist nicht anders als in der Liebe. Mit der Idee der Kulturflatrate und ihrer zugegebenermaßen schwierigen Umsetzung – denn wir sind eben auch eine Gesellschaft der Gauner und Halunken – könnten wir als gesamte Gesellschaft uns neu zu dem verhalten, was uns Kultur und diejenigen, die sie hervorbringen, wert ist. Der Angst davor, dass die Kulturflatrate eine ungerechte Einrichtung würde, kann man begegnen, wenn man sich klar macht, dass unser momentanes System mit seinen Pauschalabgaben, einem aus den Fugen geratenen Kunstmarkt und Zugangsschwellen zur aktiven Kulturpartizipation (warum sonst probiert man erst jetzt Initiativen wie JeKi und Co) zwar eingespielt ist, aber an allen Ecken und Enden erodiert. Die Fragen, die das Internet aufwirft, beschleunigen diese Prozesse. Vielleicht ist das sogar gut so, und ein Festhalten am Althergebrachten sowie seine viel zu langsame Reformierung könnten folgenreicher sein, als der Zusammenbruch einer Kulturindustrie, die uns ohnehin in ihren Produkten in erster Linie betrügt.

Barbara Haack: Es ist natürlich richtig. Eine Grundsatzfrage ist die nach dem Wert, den die „Kultur“ heute für uns hat. Die Frage ist deshalb so schwer zu beantworten, weil dieser Wert sich zunächst einmal nicht in monetärer Währung bemessen lässt. So weit, so gut. Aber mit einer etwas diffusen Gegenüberstellung der Begriffe „Wert“, „Bezahlen“ und „Kaufen“ kommen wir in dieser Frage nicht weiter. Wenn wir den Markt (wie unzureichend und „kulturfeindlich“ auch immer er uns scheinen mag) ersetzen durch eine Instanz oder gar eine Behörde, die erst einmal bestimmt, was Kultur ist und was nicht, und danach möglicherweise auch noch über deren Wert befindet, sind wir sehr schnell im Sozialismus angekommen. Nicht viel anderes will doch ein System, das sich einer Flatrate bedient und dabei auf der einen Seite Definitionen von Kultur vorgibt und auf der anderen Seite alles, was dann noch Kultur heißt, nivelliert. Damit lässt sich das, was bisher ein Markt war, wunderbar steuern. Über den kulturellen Wert denken dann sicher nicht mehr Menschen nach als heute. Im Übrigen: Die Tatsache, dass derzeitige Pauschal-Regelungen nicht funktionieren, kann ja nicht dazu anregen, weitere (ebenfalls nicht funktionierende) Pauschalregelungen zu lancieren.

Es ist natürlich einfach, gegen etwas zu sein, das sich „Kulturflatrate“ nennt, und dabei keine optimalen Gegenmodelle anzubieten. Solche gibt es im Moment erkennbar nicht. Sinnvoller als über Pauschalregelungen nachzudenken, deren Praktikabilität – obwohl sie schon seit langem in Köpfen und sogar Parteiprogrammen umherschwirren – bisher noch niemand ernsthaft dargestellt hat, ist es allemal, marktfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln, die den Künstlern die „Herrschaft“ über ihr Werk lassen und den Nutzern ein individuelles Konsumverhalten. Die frühzeitige Einbindung des Urheberrechtsgedankens in den Bildungskanon könnte ein Übriges tun!

Hufner: So schnell kommt man leider nicht zum Sozialismus, und die GEMA würde sich wehren, als sozialistisch bezeichnet zu werden; obwohl sie alle genannten Eigenschaften teilt. Aber von hinten: Es gibt nur eine Möglichkeit des Urhebers, über seine Werke zu herrschen: Er muss sie für sich behalten (nichts wäre leichter als das). Und es gibt eine Möglichkeit des Nutzers, sein individuelles Konsumverhalten zu beherrschen, er verweigert sich der Nutzung. Was hier Markt genannt wird, liegt dazwischen und ist dabei zugleich Vermittler (positiv) und Spielverderber (negativ). Das sich zugesellende Urheberrecht ist die gesellschaftliche Vereinbarung, damit es in diesem Spiel nicht drunter und drüber geht – es schützt Urheber und Nutzer beiderseits. Zwischen all diesen Parteien herrscht zurzeit Unfrieden und niemand ist darüber glücklich. Klar ist, dass eine Kulturflatrate für sich genommen nicht die Lösung dieser verzwickten Lage ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre sie allerdings tatsächlich das kleinste aller Übel, weil sie zugleich das Verhältnis zwischen Urhebern und Nutzern strafrechtlich entlastete und außerdem den Urhebern eine finanzielle Kompensation für die ohnehin stattfindenden Tauschprozesse im Internet böte. Aber nicht als Kapitulation, sondern als technologisch adäquate Reaktion. Damit stärkt man natürlich nicht den Urheberrechtsgedanken. Aber muss man dies überhaupt? Das wäre vielleicht eher eine Frage, die sich zuerst ästhetisch und erst dann ethisch stellt; was bleibt, so zynisch es zunächst klingen mag, sind die Werke, nicht die Urheber. Wie immer man sich dazu stellen mag, der Markt wird es nicht regeln können, wenn nicht die Gesellschaft es sozial und politisch für sich bestimmt. Bildung für alle, Kunst für alle!

Haack: Richtig ist, dass der Künstler, wenn er sein Werk einmal zur Nutzung freigegeben hat, nicht mehr komplett beeinflussen kann, was damit passiert, wer es wofür verwendet. Das nimmt ihm, sofern er Komponist ist, teilweise die GEMA ab, die im gegenwärtigen System die Nutzung seiner Werke verwaltet und abrechnet. Der Unterschied zwischen der GEMA und einer noch zu bestimmenden Institution, die Gestalter der und Wächter über die Kulturflatrate wäre, ist aber der, dass die GEMA ein demokratisches Konstrukt ist, in dem die Eigner über die Verteilung der durch ihre Werke erzielten Gelder selbst entscheiden. Mag sein, dass viele Beteiligte und Beobachter aufgrund der angenommenen Zweiklassengesellschaft innerhalb des Systems GEMA die Funktionsfähigkeit dieses Konstruktes bezweifeln. Aber die Grundidee bleibt: Diejenigen, die Einnahmen generieren, entscheiden auch darüber, wie diese ausgezahlt werden. Im Falle der Flatrate wäre etwas Vergleichbares zurzeit schon deshalb nicht denkbar, weil niemand weiß, wer denn Mitglied in einer entsprechenden Einrichtung sein dürfte. (Es geht ja in der Kulturflatrate-Diskussion eben nicht nur um Komponisten.)

Es stimmt: Die Kunstwerke bleiben … zumindest diejenigen, die es heute schon gibt. Denn wenn man diesen Gedanken konsequent weiterdenkt, wird es bald vielleicht nicht mehr so viele Urheber – und dann auch nicht mehr so viele Kunstwerke geben.

Es stimmt: Die gesellschaftliche Einsicht in die Bedeutung von Kultur über den Markt hinaus ist ein wesentlicher Faktor in der ganzen Frage. Neue Musik, Avantgarde-Kunst – die kulturellen Zukunftswerkstätten – werden vermutlich nie marktfähig sein und bedürfen dennoch der Investition. Dafür aber wird die Kulturflatrate sicher nicht sorgen.

Hufner: Zugegeben, die GEMA scheint zurzeit ein hinnehmbares Übel zu sein, solange nicht präzise gefasst werden kann, wie die Einnahmen aus der Kulturflatrate verteilt werden. Aber man muss sich auch darüber klar sein, dass in immer weiteren Kreisen musikalische oder andere künstlerische Urheber aktiv werden und sind, die mit guten Gründen einen großen Bogen um die GEMA herum machen. Neue Lizenzmodelle wie Creative Commons und andere etablieren sich. Die Befürchtung, dass eine Kulturflatrate zahlreiche Urheber zur Berufsaufgabe brächte, bleibt eine leere Drohung. Kunst wird passieren, immer.

Wir haben ja nicht zu wenig Kultur, sondern übergenug. Wenn etwas wie die GEMA sich allein als Naturschutzpark für die erwähnten Zukunftswerkstätten verstünde, dann sollte man Kultur vielleicht doch noch mal auf Anfang stellen. Nicht die Komponisten brauchen diese Alimente, die Gesellschaft (und damit meine ich alle, Konsumenten, Hörer und Urheber) würde sie viel nötiger haben.

Wenn dies nicht geschieht, wird es der ach so freie Markt für uns regeln – und dann bleibt nicht mal mehr eine Kulturflatrate übrig. Bestehen ohne Wandel wird vergehen. Zur Not hat allerdings auch Johann Sebastian Bach noch mehr Zukunft in sich als hunderte Heerscharen von Tonmonteuren im Komponistenkleid.

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