Zürich unterzieht sich einer Verjüngungskur. Der 28-jährige Lionel Bringuier hat den Stab des Chefdirigenten vom 50 Jahre älteren David Zinman übernommen. In seiner ersten Saison an der Tonhalle setzt der junge Franzose auf Maurice Ravel.
Die meisten Ensemblemitglieder haben nie einen anderen Chef erlebt. Fast zwei Jahrzehnte lang war David Zinman künstlerischer Leiter des ältesten Schweizer Sinfonieorchesters. Mit der Wahl seines Nachfolgers wurde nun die Chance für einen echten Neuanfang genutzt: Chefdirigent seit dieser Spielzeit ist der gerade mal 28-jährige Lionel Bringuier, der ziemlich genau ein halbes Jahrhundert jünger ist als Zinman.
Dabei hat der 1986 in Nizza geborene Dirigent bereits eine steile Karriere hingelegt. Einem Preis beim renommierten Dirigier-Wettbewerb von Besançon im Jahre 2005 folgten Gastdirigate bei europäischen und amerikanischen Spitzenorchestern. Schließlich wurde Bringuier fester Dirigent bei den Philharmonikern in Los Angeles; kurz darauf folgte die erste Stelle als Chefdirigent im spanischen Valladolid.
Die Ankunft beim Tonhalle-Orchester stellt nun einen weiteren Schritt auf der Karriereleiter des jungen Dirigenten dar. „Mich hat sofort das Miteinander der Musiker begeistert. Sie achten genau aufeinander und nicht nur auf den Dirigenten“, erinnert sich Bringuier an seinen erstes Konzert in der Tonhalle vor drei Jahren.
Auch die Konzertmeisterin Julia Becker entsinnt sich, dass die Kollegen nach der ersten Begegnung mit Bringuier hellauf begeistert waren. „Er hat eine organische Schlagtechnik, die wir gut ablesen können. Außerdem gefallen mir seine sympathische Ausstrahlung und die natürliche Autorität“, sagt die Geigerin. „Wir geben Bringuier einen Vorschussbonus. Schließlich hat er noch kein riesiges Repertoire und studiert viele Werke mit uns zum ersten Mal ein.“
Dem jungen Franzosen steht die ebenfalls neu einberufene Intendantin Ilona Schmiel zur Seite, die zuvor das Bonner Beethovenfest leitete. Sie hat den dirigierenden Komponisten Esa-Pekka Salonen an die Tonhalle geholt, einen wichtigen Mentor Bringuiers. Eigens für den Finnen schuf Schmiel den Posten eines „Creative Chair“. Salonen wird 2014/15 mehrmals in Zürich dirigieren, neun seiner Kompositionen vorstellen und eine Kompositionsmeisterklasse leiten.
Die neue Intendantin will die Konzertprogramme insbesondere mit Musik des 20. und 21. Jahrhunderts bereichern. In der Saison 2015/16 soll sich dann alles um „Dada“ drehen, erblickte doch der Dadaismus 100 Jahre zuvor in Zürich das Licht der Welt.
Lionel Bringuier konzentriert sich in seinen eigenen Programmen auf das französische Repertoire. In seiner Debüt-Saison an der Tonhalle steht Ravel im Mittelpunkt, von dem er sämtliche Orchesterstücke aufführen will.
Um Teenager in die Tonhalle zu locken, setzt Ilona Schmiel auf so genannte Schülermanager, ein Konzept, dass sie bereits während ihrer Zeit beim Beethovenfest entwickelte. „Dieses Projekt ermöglicht es Jugendlichen, hautnah an den Abläufen in einer kulturellen Institution teilzuhaben“, erläutert die Intendantin. „Sämtliche Abteilungen in der Administration werden durch das Schüler-Team verdoppelt.“
Vorwiegend dem jungen Publikum zuliebe dürfte Schmiel auch die als Youtube-Star gefeierte Pianistin Yuja Wang als „Artist in Residence“ engagiert haben. Die 27-jährige wird das Tonhalle-Orchester auch auf einer Deutschland-Tournee Anfang März 2015 begleiten.
Der Herausforderung, das Publikum für eine programmatische Neuausrichtung zu begeistern, muss sich das Tonhalle-Orchester unter verschärften Bedingungen stellen: Das Kongresshaus, das die Tonhalle beherbergt, bedarf dringend der Sanierung, weshalb das Ensemble ab 2017 für drei Spielzeiten in ein Ausweichquartier zieht. Neue Spielstätte wird ein Saal der Maag Halle im trendigen Westteil Zürichs, wo sich die Kreativwirtschaft tummelt. Der Kontrast zum gediegenen Bankenviertel rund um die Tonhalle könnte größer kaum sein.