Die Kölner Oper muss, ebenso wie das benachbarte Schauspielhaus, saniert werden. In Vorbereitung der (über)fälligen Generalüberholung werden in dieser Saison einige Produktionen ausgelagert: „L’incoronazione di Poppea“ von 1642, Claudio Monteverdis letzte Arbeit für das Musiktheater, wird im derzeit leerstehenden Gerling-Quartier angeboten. In diesem wuchtigen Gebäudekomplex aus der Nachkriegszeit mitten im Friesenviertel sollen in absehbarer Zeit Wohnungen für den gehobenen Bedarf, Büros, Geschäfte und ein Design-Hotel entstehen. Nun aber zogen erst einmal die Theaterleute ein und bespielen das ehemalige Casino nebst dessen verwaister Küche.
Die Fabel vom Aufstieg der Metze zur Kaiserin an der Seite des ‚durchgeknallten’ Imperators Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, der als Machthaber in Rom von 54 bis 68 erst für preiswertes Brot und prickelnde Spiele, dann zunehmend für Angst und Schrecken sorgte, ist der erste ganz in der menschlichen Realgeschichte angesiedelte Opernplot, obwohl sich zu Beginn und am Ende noch kurz drei allegorische Gottheiten des Barocktheaters zeigen. Dem Librettisten Giovanni Francesco Busenello gelang mit seinem Rückgriff auf die Biographien des römischen Kaisers und dessen zweiter Gattin Poppea, die von der Kurtisane an die Staatsspitze aufstieg, ein geschliffener Theatertext, der auch in gesprochener Form auf dem Theater seine Wirkung entfalten könnte.
Erst recht aber mit der Musik Monteverdis. Sie begleitet eine Sex and Crime-Geschichte, in der die Zeitgenossen sehr wohl die Anspielungen auf die mittelitalienischen Zustände im frühen 17. Jahrhundert wahrnehmen und insbesondere das Treiben jenes Herzogs Vincenzo I Gonzaga erkennen konnten, der in zwangsanonymisierter Form durch Giuseppe Verdis „Rigoletto“ weltweit berühmt und berüchtigt wurde. Der Komponist war ja dem Dienstverhältnis bei den Gonzagas in Mantua glücklich entkommen und in der Republik Venedig zum 1. Kapellmeister an San Marco aufgestiegen (selbst sein Sohn Massimiliano, der 1627 in die Fänge der Inquisition von Mantua geraten war, konnte freigekauft werden und nach Venedig fliehen). „Die Krönung der Poppea“ dürfte, subtil, ein Moment der Rache an den unsäglichen Verhältnissen in Mantua beinhalteten.
Die von der Vorkriegsmonumentalästhetik inspirierte Nachkriegsarchitektur des Gerling-Komplexes bildet den Rahmen und prägt auf bestechende Weise die neue Kölner Monteverdi-Produktion. Dieter Richters Spielfläche schließt an die Essensausgabe des ehemaligen Konzern-Casinos an und wird an drei von vier Seiten gegenüber den Zuschauern durch einen Gaze-Vorhang abgetrennt. Einsam in der Mitte ein einziges Requisit: der schmucklos-funktionale, ehrfurchtgebietend imposante Gerling-Schreib- und Verhandlungstisch. Rings um ihn lässt Regisseur Dietrich Hilsdorf eine dreieinhalbstündige Party steigen.
Es ist Neros Fest aus Anlass der Erhöhung seiner neuen Lebensabschnittspartnerin. Mit faszinierender schauspielerischer Genauigkeit zeichnen die singenden Protagonisten die Intrigen und die psychischen Befindlichkeiten der Intriganten: angefangen von Wolf Matthias Friedrich, der den kaiserlichen Erzieher und Ratgeber Seneca mit profundem Bass ausstattet, oder den von David DQ Lee demonstrativ als beschränkt gezeigten Verlobten der Poppea, der sich – der Not der Umstände gehorchend – rasch mit einer Neuen verbindet. Dieser Drusilla verleiht die Sopranistin Claudia Rohrbach in Leidenschaft und Aufopferungsbereitschaft eine glänzende Stimme. Die Partie der Kaiserin Ottavia wird von Rominda Boscolo mit unterdrückter Leidenschaft und kühl-souveräner Würde ausgestattet. Ein musikalisches Ereignis ist die Zusammen- und Übereinkunft der schlank-kühl-glatten Titelfigur Sandrine Piau, die Poppeas Willen mit vokaler Verführungskraft auskostet, mit dem Counter Franco Fagioli. Dessen Stimme prozessiert die Egomanie, die Verschlagenheit und Herrschsucht des Kaisers mit höhnischer Süße und dekuvrierender Schärfe heraus, ist Musik gewordenes Ich-Prinzip.
Konrad Junghänel hilft den sehr genau geführten Sängerdarstellern mit intensiv-expressiver Zeichengebung (eine zweite Continuo-Gruppe wurde weitab vom Dirigenten, am anderen Ende des Spielraums postiert – so entwickelt sich bei guter Akustik ein Raumklang für die rund 600 Zuschauer). In der Pause werden die Damen des Publikums in einen Venezianischen Salon gebeten, in dem sie Nero aus größter Nähe erleben dürfen. Die Herren müssen sich in der kürettierten Konzernküche die Beine vertreten.
Die Videoeinblendungen über den Häuptern der handverlesenen Gürzenich-Musiker bleiben diskret. Überhaupt meidet die Produktion sichtbaren Totschlag, geizt mit Blut und Sperma. Auch mit Anspielungen auf den machiavellistischen Kontext der Entstehungszeit. Die Botschaft des Werks will unmittelbar und unverstellt zu den Heutigen sprechen: das Theaterfigur gewordene Glück hält die Tugend für eine „schon lange in Armut gefallene Gottheit“, im Gegenzug die Tugend das Glück für ein „Hirngespinst der Völker“. Amore schneidet den beiden Keifenden das Wort ab, heißt die alten Gouvernanten schweigen: er/sie ist der mobile Faktor und bleibt Agens der Geschichte: der Erhöhung und des Falls von Figuren wie Poppaea Sabina oder Carla Bruni.
Weitere Termine: 21./24./27./29./30. Oktober, 1./3./5./7. November 2010