Wieder diese Erfahrung: Ein neues Werk vor seiner Erstaufführung. Gespannte Erwartung wie das vor einer Bescherung ja sein soll. Gesteigert die schönen Vorgefühle noch einmal durch die Erlesenheit der Beteiligten. Eine renommierte Komponistin – Rebecca Saunders –, eine profilierte Solistin – Carolin Widman –, ein Spitzenorchester – BBC Symphony Orchestra – und mit Sylvain Cambreling ein uraufführungserfahrener Spitzendirigent. Alles da. Was will man mehr? Rundum glücklich also diese Kooperation aus Beethovenfest Bonn und BBC Radio 3. Schön, wie man an Rhein und Themse die Muskeln gespannt hat, um in die Tat umzusetzen, was man sich für die diesjährige Festivalausgabe gewünscht hat: ein neues Violinkonzert.
Belohnt wurde man, Festivalleitung und ein im besten Sinne neugieriges Publikum, mit einer exzellenten Ausführung. Das Podium der Beethovenhalle verwandelt in ein Kraftwerk. Eines freilich im Ausnahmezustand, ausgelöst durch diesen einen Intensiv-Triller in der Solovioline. Wie ein Bohrer, dem ein wildes Schaufeln und Schieben in Doppelgriffen folgt, das im nächsten Moment die Isolierung von den Leitungen der Orchesterinstrumente reißt. Plötzlich liegt alles offen. Bläser, Schlagwerk, Streicher können gar nicht anders als diesem losgelassenen Energiestrom zu sekundieren, der sein hämmerndes Echo in den dumpfen Schlägen der Kontrabässe hat. Alles steht unter Strom. Für eine in eine kleine Ewigkeit gedehnte halbe Stunde schießt und zischt es weiter aus diesem Ding, das von Ferne immer noch ausschaut wie die Geige von Carolin Widmann.
Cambreling tut sein Bestes. Mit der Präzision eines in Wettern erprobten Steuermanns löst er aus, was doch nicht zu verhindern ist. Und die Mannschaft, ein in Vollbesetzung angetretenes BBC Orchestra folgt. Was soll es auch sonst tun?
Es ist ein Violinkonzert voller suggestiver Kraft, das Rebecca Saunders hier geschrieben hat. Ein Werk, das alles hat – nur keine Gefälligkeit. Ein auskomponierter Ausnahmezustand. Welchen Elementarzustand man in diesem Fall assoziiert, scheint fast gleichgültig. Nur sollte es nicht die Gefährdung ignorieren, die diese Musik heraufbeschwört. Ein Gang über Eis, das seine Risse hörbar macht.
Das ist „still“, nur eben nicht das Werk, das in der moderationsgestützten Werkeinführung so dekorativ gemalt worden ist. Da wurden viele Worte gemacht – und das ebenso hochgespannte wie zahlreich erschienene Publikum doch auf die falsche Fährte gelenkt. So nett und wolkig wie beschrieben ging es auf dem Podium der Beethovenhalle nämlich nicht zu. Der Komponistin, den Ausführenden sei Dank. Nur, da mit Rebecca Saunders die Urheberin dieses beeindruckenden Werkes auch die Einführung bestritt oder bestreiten sollte, konnte man nebenbei auch wieder etwas lernen über die offizielle Logik der Werkvermittlung. Wer die richtigen Noten findet, sollte doch auch die passenden Worte dazu haben. Im Prinzip ja.