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Michael Gielen probt mit dem SWR Sinfonieorchester in Freiburg.
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Aussterbende Magier, gestrenge Sachwalter

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Das Bild des Dirigenten wandelt sich mit der Musik unserer Gegenwart · Von Gerhard Rohde
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Über den – oder die – Dirigenten wird gern etwas geschrieben. Oft sogar dicke Bücher, in denen dann meist nur zu lesen ist, was man ohnehin schon weiß. Der Dirigent, von dem dabei die Rede ist, entstammt in der Regel dem neunzehnten Jahrhundert, dem späten vor allem. Die Großsinfonik verlangte nach einer Person, die in den Orchesterfluten den Überblick behielt. Mit den Strudeln stieg auch die Person nach oben: sie wurde zum Magier. Irgendwann wurde dieser Magier dann zur Hauptsache. Der Komponist diente ihm lediglich zur eigenen Erhebung.

Die Reihe der großen Dirigentenpersönlichkeiten ist lang: Im vorletzten Jahrhundert verbanden sich viele Namen mit dem Werk Richard Wagners. Dann kamen die Furtwängler, Walter, Knappertsbusch, um nur einige zu nennen. Die traditionelle Dirigentenaura bewahrten noch, wieder nur als Beispiele, ein Karajan, Bernstein, Solti knapp bis zur Jahrtausendwende. Dann begann das große Klagen: Wo sind die neuen „großen Dirigenten“, die faszinierenden Persönlichkeiten, die Orchester wie Publikum zu bannen vermögen?

Sollte man noch Altmeister wie Kurt Masur (siehe nächste Seite) oder Herbert Blomstedt, die beide jetzt im Juli ihren achtzigsten Geburtstag feiern, zu den Magiern zählen? Am 20. Juli 2007 wird auch Michael Gielen achtzig – dazu die Würdigung seines Schaffens auf Seite 35 dieser Ausgabe. Gielen ein Magier? Womöglich auch Pierre Boulez? Der Begriff des Magiers hat ausgedient. Dirigenten wie Gielen oder Boulez inszenieren sich nicht als Hohepriester. Sie entfalten die Magie des Werkes aus diesem selbst: mit höchstmöglicher Genauigkeit der Interpretation. Ausdruck, Spannung, Klangfarben ergeben sich aus der exakten Realisierung der Partitur. Um die in ihr notierten Gesten und Bewegungen in lebendigen Klang umzusetzen, bedarf es keiner pathetisch-selbstverliebt auftrumpfenden Gebärde, wie sie vielleicht noch das Publikum liebt, sondern klare Zeichen für die Musiker, damit diese in erster Linie die Absichten des Komponisten möglichst vollständig und beredt wiedergeben.

Dieses Ablenken von der eigenen Person und das Hinlenken der Aufmerksamkeit auf das jeweilige Werk beherrschen Dirigenten wie Gielen oder Boulez perfekt. Der interpretatorische Ansatz folgt aus der intensiven geistigen Durchdringung der kompositorischen Strukturen. Dass diese Durchdringung immer auch eine hohe emotionale Innenspannung bewirkt, dafür haben besonders diese beiden Dirigenten, die zugleich auch renommierte Komponisten sind, im Laufe ihres Musikerlebens überwältigende Beispiele geliefert.

Das Aussterben der Pultmagier– das vielleicht letzte Exemplar: ChristianThielemann – hängt natürlich auch mit dem Entstehen der Neuen Musik zusammen. Die Partituren der modernen Komponisten bieten oft eigenwillige Notationen, die erst einmal genau gelesen sein wollen, um sie entsprechend in „Klang“ verwandeln zu können. Es kennzeichnet das künstlerische Format eines Gielen, eines Boulez, auch eines Hans Zender, dass sie ihre Lese-Fähigkeiten nicht nur der Neuen Musik zukommen lassen, sondern auch zum Vorteil der Partituren von Klassik und Romantik einsetzen. Gielens Auseinandersetzung mit Beethovens Sinfonik gehört zum Aufregendsten in der Interpretationsgeschichte dieses Komponisten. Dass eine solche Doppel-Kompetenz nicht unbedingt die Doppelbegabung Komponist/Dirigent voraussetzt, dafür stehen Dirigenten wie Lothar Zagrosek, Sylvain Cambreling oder Ingo Metzmacher. Wer Cambrelings Messiaen-Interpretationen mit dem SWR-Sinfonieorchester gehört hat, weiß, wovon die Rede ist. Da hecheln die ach so gerühmten Starorchester nur noch hinterher. Cambreling aber hat auch einen großartigen „Ring des Nibelungen“ dirigiert (in Brüssel und Frankfurt), Verdis „Simon Boccanegra“ und jetzt in Paris „La Traviata“. Das nur als Beispiele.

Ein neuer Dirigententyp hat sich mit der Gründung und wachsenden Bedeutung der Spezialensembles für Neue Musik herausgebildet: Ensemble Intercontemporain, Ensemble Modern, Klangforum Wien, Schönberg-Ensemble Amsterdam – auch dies nur Beispiele. Sie haben in der Regel keinen festen Dirigenten, aber sie arbeiten mit hochqualifizierten Musikern zusammen. Einige Namen: Peter Rundel, Johannes Kalitzke (der auch komponiert), Stefan Asbury, Arturo Tamayo. Ein hervorragender Sachwalter als Avantgarde-Dirigent ist auch der Komponist Beat Furrer.

Alle diese Dirigenten vereint bei allen Unterschieden des Temperaments die Enthaltsamkeit von Pultstar und Magier. Sie agieren mit ihren Musikern als Primus inter pares, führen sich nicht als machtgierige Egozentriker auf, sondern wollen nur dem jeweiligen Werk die größtmögliche perfekte Realisierung zukommmen lassen. Es ist eine schon fast alte Weisheit, dass die Akzeptanz Neuer Musik entscheidend von der Qualität der Interpretation abhängt. Routinierte Pultstars, die mit ihren Renommierorchestern gelegentlich etwas Neues eher hinschmieren als durchgestalten, schaden der Neuen Musik nur.

Außer den aussterbenden Magiern und den uneitlen Sachwaltern gibt es noch eine Gruppe von Dirigenten, die vor allem an ihrer Machtentfaltung bosseln. Ein besonders griffiges Exempel dafür ist derzeit in Leipzig zu studieren. Dort hat man dem Opernintendanten kurzfristig den Stuhl vor die Tür gesetzt, angeblich, und alles spricht dafür, weil der amtierende Generalmusikdirektor die Stadt Leizpig vor die Wahl stellte: Er oder ich. Natürlich entschieden sich in Kulturdingen meist ungebildete Politiker für den „weltberühmten“ Dirigenten Riccardo Chailly und gegen den die Leipziger Oper mühsam wieder stabilisierenden Franzosen Henri Maier, dem es nach dem Exodus des Publikums in der sicher höchst spannenden Zimmermann-Ära (viele Uraufführungen und viel Modernes) gelang, die Leipziger Opernfreunde wieder stärker ins Theater zu locken. Von Maier zu verlangen, überregionale Aufmerksamkeit zu erregen und seitens der Stadt gleichzeitig die Oper finanziell auszutrocknen, beweist einmal mehr, wie schwachsinnig Kulturpolitik sein kann. Fast empfindet man Schadenfreude darüber, dass Leipzig nun dem Opernintendanten noch bis 2011 das Gehalt weiter zahlen muss, weil man ihm seinen Vertrag noch 2006 um fünf Jahre verlängerte. Und Riccardo Chailly?

In der Oper hat er erst einmal mit mäßigem Erfolg eine Premiere (Verdis „Maskenball“) geleitet. Die Aufspielerei ist einfach unerträglich, und den Leipzigern wäre es zu gönnen, dass der Dirigent irgendwann demnächst nach Mailand übersiedelt, wo Mutis Scala-Lücke zu füllen ist.
Leider hatte Chailly ja etwas vorschnell in Leipzig abgeschlossen. So sind sie eben manchmal auch: Die Dirigenten.

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