Mozarts Jupiter-Sinfonie: Das war der sinnfällige Schlusspunkt eines Festivals, das mit Beethoven begonnen und in dessen Zentrum Bachs „Kunst der Fuge“ gestanden hatte. Im kontrapunktisch aufgeladenen Finale nahm Jos van Immerseel sein Orchester wieder fester an die Zügel. Da tönte es immer noch mächtig aus dem Fundament, aber die Kontrabässe fuhren nicht gar so tolldreist dazwischen wie zuvor in den Sinfonien 39 und 40.
Trotz mancher Hemdsärmeligkeit gelang Anima Eterna mit ihrem mehr vor Vitalität denn vor Feinsinn strotzenden Mozart somit eine Wiedergutmachung für ihren halbwegs missglückten Auftritt mit Berlioz und Liszt vor zwei Jahren. An gemeinsame Glanztaten knüpften andererseits die Regensburger Domspatzen und die Akademie für Alte Musik Berlin an und brachten im Eröffnungskonzert vier wenig gespielte Schubert-Preziosen (Salve Regina, Stabat Mater, Offertorium, Magnificat) ebenso zum Leuchten wie Beethovens unterschätzte C-Dur-Messe.
Zum zentralen Ereignis dieses 26. Jahrgangs der Regensburger Tage Alter Musik geriet aber der Reichtum an historischen Perspektiven, den die Berliner Akademie für Alte Musik an Bachs „Kunst der Fuge“ demonstrierte. Das Lichtkonzept ist dabei mit der Hervorhebung der jeweils agierenden Instrumentengruppe nur ein äußerlicher Aspekt. Doch die variablen Besetzungen, mit denen die Berliner Musiker die gerne als bloße „Augenmusik“ für Kenner und damit als intellektuellen Genuss für eingeweihte Partiturleser in weite Ferne gerückten Fugen- und Kanon-Künste ganz unmittelbar versinnlichen, deuten Bachs Opus summum als Kreuzungspunkt in der Musikgeschichte.
Rückbezüge auf die Toccaten-Tradition der Renaissance und des Frühbarock, auf die Gebrauchsmusik der Stadtpfeifer oder die gewagte Chromatik Purcellscher Streicherfantasien scheinen auf, während gleichzeitig – das ist vor allem ein Verdienst der bei aller historischen Informiertheit enorm ausdrucksintensiven Solisten – Beethovens späte Streichquartette in greifbarer Nähe sind oder in fast symphonisch sich steigernden Tutti-Passagen die ganze Aufführungs-Tradition bis hin zum klanggesättigten, von der Aufführungspraxis noch kaum in Frage gestellten spätromantischen Orchesterideal angedeutet ist. Diese Fülle von Interpretationsansätzen verunklart aber nie die polyphone Durchgestaltung. Vielmehr wird deutlich, dass Bach sich gerade durch die Kompromisslosigkeit seiner kontrapunktischen Satztechnik eine wundersame Freiheit musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten erarbeitet hat, die zeitlose Gültigkeit hat.
Dieser Blick aufs Ganze schärfte den Blick auf die wieder einmal faszinierende Fülle an Spezialprogrammen, die dieses Pfingstwochenende durchzogen. Die „Capella della Torre“ flutete die Minoritenkirche mit ihrem fein abgestimmten Gebläse aus Schalmei, Dulzianen, Zink und Posaune; das Schweizer Ensemble „A Corte Musical“ gab frische, vokal nicht durchweg herausragende Einblicke in die Musik portugiesischer Komponisten des 17. Jahrhunderts; dem Mythos der „kriegerischen Jungfrau“ widmete sich ein im unfreiwillig komischen Programmtext mehr verunklartes denn vermitteltes Ethno-Spektakel der brasilianischen Formation „Anima“.
Renaissance- Polyphonie stand im Mittelpunkt der Nachtkonzerte, von denen das Guerrero-Programm des „Ensembles Plus Ultra“ mit wohl überlegter Bläserbeimischung durch „His Majestys Sagbutts and Cornetts“ stärkeren Eindruck machte als das etwas blutarme „Engelskonzert“ von „La Morra“ oder die ein wenig aufgesetzt provokativ wirkenden, gleichwohl reizvollen Rauhkehlen von „Graindelavoix“.
Auch die barocken Großmeister lässt man sich gerne immer wieder neu gefallen, sofern sie wie im Fall der Solokonzerte Vivaldis und Bachs so wohltuend unaufgeregt und sorgfältig dargeboten werden wie von „Gli Incogniti“ oder so aberwitzig vorwärtsstürmend wie Händels als Oratorium getarnte Auferstehungs-Oper „La Resurrezione“. Václav Luks trieb sein Collegium 1704 und seine Solisten mit unerbittlichem Enthusiasmus in den finalen Chorjubel. Man mochte am liebsten einstimmen.