Elektronische Spruchbänder melden sinkende Aktienkurse, und als Höhepunkt des Festes bei Orlofsky werden in einem mit „Hypo“ beschrifteten Müllcontainer Geldscheine in rauer Menge verbrannt. Johann Strauß’ unverwüstliche Wiener Operette hat Regisseur Christian Pade an der Staatsoper Unter den Linden ins heutige Berlin verlegt, mit Wohnküche im ersten Akt, einer Disco im zweiten und einer sehr artifiziellen Justizvollzugsanstalt, mit horizontaler Umkehrung des Wohnküche-Inventars, inmitten schräger, verchromter Röhren, mehr Tabledance-Stangen als Gefängnisgitter, und auch als solche bespielt im Schlussakt.
Obwohl die Premiere mit einer eigendynamisch gehopsten Choreographie eines dreizehnköpfigen Tanzensembles unter Martin Stiefermann auf wenig Gegenliebe beim Publikum stieß (Buhrufe schon in der in den zweiten Akt verlegten Pause!), bot sie doch diverse ausgezeichnete Sängerleistungen und eine mit Verve bravourös aufspielende Staatskapelle Berlin unter Zubin Mehta.
Die Dialoge wurden vom Dramaturgen Oliver Binder, gemeinsam mit dem Regisseur, geringfügig modifiziert, und auch neue Reime sind zu hören („Ach, Ida, ich könnt’ schon wieder!“). Neutextungen erfährt ja in dieser Operette aus dem Jahre 1874 traditionell die Partie des Frosch, mit der jeweiligen Besetzung der Komikerrolle. In der Neuinszenierung nutzt der jugendliche Angestellte Frosch seinen Arbeitsplatz als internationale Umschlagstelle für DDR-Reliquien, Dienstmützen, Telefone und – Unterwäsche von Margot Honecker.
Der Hamburger Schauspieler Michael Maertens verzichtet dabei auf die üblichen Frosch-Witzchen und sucht mit geradezu hygieneschädigender Stimmgebung den extremen Gegensatz zum kraftvollen Schöngesang, mit dem der Tenor Stephan Rügsamer als Alfred aufwartet. Das einzig originale Flair verbreitet die dramatisch vielseitige Wiener Sopranistin Silvana Dussmann als Rosalinde, aber nicht immer intonationsrein.
Rundum erfreulich die Leistung des Baritons Jochen Schmeckenbecher als Gefängnisdirektor Frank. Beweglich in Stimme und Spiel, markiert Roman Trekel den Drahtzieher Dr. Falke als jene titelbildende „Fledermaus“, die nur zweimal kurz in Erzählungen der Vorgeschichte Erwähnung findet. Der dritte Bariton im Bunde ist der Freiburger Martin Gantner: in der Bariton-Fassung des Gabriel von Eisenstein sind einige Spitzentöne punktiert, aber in Spiel und in gesanglicher Intensität, insbesondere im dritten Akt, überzeugt Gantner auch „tenoral“ und wartet mit originellen Charakterisierungsmitteln auf.
Wirkungsschwach hingegen die georgische Mezzosopranistin Stella Grigorian als Punk-Heshe Orlofsky. Um so mehr gefällt Christine Schäfer als Adele: das nach der Bühne strebende Kammermädchen (diesen Job nennt ihre Schwester Ida mit Nachdruck „Putze“) siedelt sie stimmlich und darstellerisch zwischen ihren Erfolgspartien Cherubino und Lulu an und erhält berechtigt den meisten Publikumszuspruch.
Der von Eberhard Friedrich einstudierte Staatsopernchor rundet das opulente Klangbild der Staatskapelle. Besondere Schlagkraft besitzt unter Zubin Mehtas Leitung bereits die Ouvertüre, und am Ende lässt sich der Dirigent in der Reihe des auf der Bühne versammelten Orchesters stürmisch feiern. Die solchermaßen hervorgekehrte musikdramatische Qualität von Strauß’ singulär gelungener Bühnenpartitur macht den szenischen Neuansatz, mit ihrem Versuch eines Bogenschlags vom Börsencrash des Uraufführungsjahres zur Finanzkrise unserer Tage, geradezu unmaßgeblich, – und sie überbietet schier die Wirkung von Johann Strauß’ Walzern und Polkas bei den Wiener Neujahrskonzerten.
Weitere Aufführungen:
25., 27., 29. November, 1., 3., und 6. Dezember 2009