Zu einer trefflichen Pastete bedarf es nicht nur guter Zutaten, sondern auch eines verständigen Kochs. Dass diese landläufige Küchenweisheit nicht nur am Herd, sondern auch in der Musikgeschichte ihren Platz hat, konnte am 12. Dezember 2010 im hübschen Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses mit Augen und Ohren besichtigt und behört werden: Zum Auftakt des diesjährigen „Barock-Festes“ fuhren die Heidelberger Bühnen mit Vivaldis „Bajazet“, einem wahren „Mischmasch“, einen glänzenden Erfolg ein.
Selbst in Zeiten des Samplings und Coverns aktueller Hits und Evergreens muss solch ein Opern-Pasticcio aberwitzig anmuten: Man nehme die bekanntesten Arien aus einer Vielzahl von bereits vorliegenden Partituren (nicht nur eigene, sondern auch die anderer Komponisten), bilde eine nach ihren Affekten dramaturgisch sinnvolle Perlenschnur, beauftrage einen Librettisten, eine halbwegs nachvollziehbare Handlung drumherum zu stricken und setze dann seinen Namen oben auf. Wo heute die GEMA sofort Einspruch erheben würde, war im frühen 18. Jahrhundert indes ein rechtsfreier Raum. Doch trotz an allen Standorten herrschenden immensen Produktionsdrucks handelt es sich bei diesen Pasteten vielfach nicht nur um bloße Machwerke, sondern um höchst eigene Schöpfungen: Der Komponist wurde in diesem Fall zum Bearbeiter, die Originalität seiner Partitur misst sich am Anspruch der Zusammenstellung.
In dieser Hinsicht hat Antonio Vivaldi mit seinem 1735 für den Veroneser Karneval bestimmten »Bajazet« ein glückliches Händchen bewiesen – ein kleines Feuerwerk barocker Kompositionskunst. Den eigenen Highlights stellt er dabei Arien aus Opern von Giacomelli, Hasse und Borschi zur Seite, die stilistisch teilweise ins konkurrierende Neapel gehören und es wahrlich nicht an musikalischem Genie fehlen lassen. Daraus entsteht eine zudem bemerkenswerte innere Spannung, die die Wirrungen der Handlung verdeutlichen hilft.
Dass die dreiaktige Parabel auf den Widerstreit von Macht und Liebe nicht in historischer Ferne spielt, sondern auch im Heute beheimatet sein kann, zeigte der junge, jüngst erst mit dem Körber-Studiopreis ausgezeichnete Daniel Pfluger mit einer ebenso einfallsreichen wie hintersinnigen Inszenierung (Bühnenbild: Flurin Borg Madsen). Der herrschende Tamerlano geriert sich bei ihm als selbstverliebter, überdrehter Vogel, Andronico (der für die Liebe gerne auf das Herrschen verzichten würde) erinnert in seinem ganzen Wesen an den schlafmützigen Prinzen Valium. Allein seine Dienerin Idaspe hat die Fäden fest in der Hand, sieht den Abgrund nahen – und schaudert am Ende verständnislos lachend über die Ohnmacht der sich selbst nur spielenden Mächtigen. Da wirkt der gefangene Bajazet wie aus einer anderen Welt: aufbrausend und mit Feuer zum »ehrenvollen« Untergang bereit.
Sängerisch wie spielerisch wusste das gesamte Ensemble des Theaters Heidelberg (teilweise mit bewährten Gästen) rundum zu überzeugen. So zeichnete sich Amadeu Tasca (Bajazet) durch markante stimmliche und gestische Präsenz aus, Yosemeh Adjei rückte mit seinem in Schwetzingen schon mehrfach gehörten biegsamen wie wandlungsfähigen Countertenor den gereizten Charakter des Tamerlano ins rechte Licht. Sophie Carvalho (Asteria) gelang es erst in der letzten Arie sich von einer gewissen Reserve zu befreien, während Aaron Judisch mit seinem zurückhaltenden Tenor ganz in der Rolle des Andronico aufging. Dem erheblichen Anspruch an die Rolle der Irene begegnete Rosa Dominguez mit bemerkenswerter Virtuosität – sowohl in der teilweise ironisch verzerrten Koloratur-Arie, wie auch in einer nur von Blockflöte, gezupftem Bass und Theorbe begleiteten »Romanze«. Mit ihrem geradezu buffonesken Spiel und souveräner musikalischer Gestaltung konnte Camilla de Falleriro (Idaspe) an ihren letztjährigen Erfolg anknüpfen und empfahl sich als Idealbesetzung.
Das verkleinerte Philharmonische Orchester Heidelberg ließ sich lustvoll von Michael Form durch die Partitur führen, Hervorragendes leistete die ebenso farbig wie phantasievoll agierende Continuo-Gruppe um Johannes Keller.
Weitere Aufführungen:
18., 20., 23. Dezember 2010
21., 23., 28. Januar 2011
1., 3., 10., 12. Februar 2011