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Opernchor in Käfighaltung: Fidelio ind Duisburg. Foto: Deutsche Oper am Rhein
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Beethoven auf der Streckbank – Amélie Niermeyers Fidelio-Plattitüden in Duisburg

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„Über Rettung wird immer wieder geredet, alles soll gerettet werden. Darüber denken wir auch in der Inszenierung nach, inwieweit so ein singulärer, exemplarischer Fall wirklich dazu führt, dass sich ein ganzes System verändern kann.“ Tut es nicht, sagt Amélie Niermeyer, womit auch an der Deutschen Oper am Rhein eine Aporie zurückbleibt: Fidelios Problem kann gelöst werden – das Fidelio-Problem nicht.

Rettung? Befreiung? Nicht für alle! sagt Amélie Niermeyer, weswegen das Trompetensignal folgerichtig auch keine Wende verheißt. Der Minister ein zynischer Manipulator, der die Gefangenen zum Schlusschorjubel wieder in den Knast zurückbeordert. Dort dürfen sie singen und von der Freiheit träumen. Auf einmal herrscht heilloses Gedränge auf der Duisburger Premierenbühne. Niermeyer hat die besseren Hälften der Gefangenen hinausgeschickt: Geklonte Leonores im roten Umhang und schwarzen Pferdeschwanz, ein Durcheinander, das Leonore I samt Florestan nutzen, um sich in die Zweierkiste zu verabschieden: Rettung ist Illusion, sagt die Regie.

Die Folge: Der hochtönende Idealismus dieses inkommensurabeln Werkes, die Idee der Freiheit, die sich so mächtig gegen die Verhältnisse stemmt, wird zur Vertröstungsmusik. Kunst als schlechter Religionsersatz. Was Leonore wie ein zweiter Odysseus so tapfer und listenreich einfädelt, verliert seinen Zeichencharakter – eine Frau undercover in Männerkleidern unterwegs, die unter Umgehung sämtlicher Hierarchien die Spielregeln im spanischen Staatsgefängnis aushebelt. Fehlte noch und die Beiden würden, aus dem Kerker heraus einen Bausparvertrag unterschreiben. So gründlich ist das Private und das Politische in Beethovens Opern-Utopie selten auseinandergefallen. Die Lösung des Fidelio-Problems, die Befreiung der Menschheit vom Pizarro-System, vertagt. Wieder einmal.

Dass der Beitrag der Deutschen Oper am Rhein dazu marginal ausfällt, liegt freilich am wenigsten an der Musik. Zumal in den wunderbaren Quartetten brillieren Annette Seiltgen, Steven Harrison als Leonore und Florestan, Heikki Kilpeläinen und Sami Luttinen als Rocco und Don Pizarro. Dirigent Andreas Stoehr denkt diesen Fidelio von der Transparenz des Mozart-Orchesters her, hat freilich für die Sänger auf der Bühne weniger Augen als für seine Duisburger Philharmoniker und toleriert unverständlicherweise auch eine zu weit aufgedrehte Schallverstärkung, so dass der latente Überdruck der Partitur weiter erhöht als vielmehr temperiert wird. So scheppert und klirrt es öfter als nötig.

Unabgestimmtheiten auch im mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Regieteam, das neben Amélie Niermeyer, der Generalintendantin des Düsseldorfer Schauspiels, neben Andreas Stoehr auch Stefan Braunfels, einen gelernten Architekten einbindet.

Dass Regie, musikalische Leitung und bühnenbildnerische Umsetzung in ihren Auffassungen, was ein Werk braucht, was es verträgt, quer liegen, kommt vor. Dass solcher Clinch auf offener Bühnen ausgetragen wird, ist vergleichsweise selten.

Den Offenbarungseid leistet Niermeyer gleich zu Anfang, wenn sie zur von Beethoven verworfenen 1. Leonore-Ouvertüre ein Gefängnis-Video abspielen lässt. Klassisches Beispiel eines stadttheatertypischen Regieeinfalls. Bestürzend die Verständnislosigkeit, die sich auf diese Weise gegenüber einer Musik, einem musikalischen Ideen-Drama an den Tag legt. Wirksam ist darin offenbar eine immanente Kritik Niermeyers am Entwurf ihres Ausstatters Stephan Braunfels. Dieser hat den Herren des Düsseldorfer Opernchors strikte Käfighaltung verordnet, indem er legomäßig über vier Etagen Einzelzellen mit schwerem Gitter hat anbringen lassen, hinter denen man sich nach allen Regeln der Unkunst windet und gequält in die Gegend guckt wie das kaum ein Schülertheater sich mehr getrauen würde. Während also im deutschen Stadttheater alles seinen gewohnten Gang geht, scheinen der Regisseurin an diesem klaymottigen Theater-Knast doch gewisse Zweifel gekommen zu sein. In puncto Realismus muss ihr die ganze Richtung, folgen wir dem Neusprech-Idiom, irgendwie uncool vorgekommen sein. Was tun?

Da die Braunfels’schen Hühnerkäfige schon gebucht, ergo nicht mehr zu verhindern waren, ist Niermeyer folglich auf eine geniale Idee verfallen: Einen Film zeigen! Dass solches Ansinnen mittlerweile nicht mehr so ganz up to date ist, scheint sie dabei weniger beschäftigt zu haben als die Frage: An welcher Stelle? Am Ende klebt sie denn auch die einzige bildfreie Stelle dieser Inszenierung mit ihrem rheinischen Verismus zu, verlegt das spanische Staatsgefängnis in die JVA Köln-Ossendorf. Dort haben Stefan Bischoff und Tim Deckers Kameras aufgestellt, die zwei Schließerinnen dabei beobachten, wie sie vor den Zellentüren patroullieren, ab und an durch den Spion gucken und vor den Zellentüren zusammensinken: Beethovens 1. Leonore als Filmmusik. Die Duisburger Philharmoniker als Kino-Orchester zu einer Niemeyer’schen Lichtspielszene. Und sonst? Ein in vielen Theaterschlachten abgestumpftes Publikum verhält sich adäquat, indem es die Regie-Plattitüden, indem es den ganzen Duisburger Opern-Frust im euphorischen Beifall für die Solisten ertränkt.

 

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