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Schaurig schönes Mittelalter: Barbara Hannigan und Iestyn Davies in „Written on skin“. Foto: Wilfried Hösl
Schaurig schönes Mittelalter: Barbara Hannigan und Iestyn Davies in „Written on skin“. Foto: Wilfried Hösl
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Belcanto fürs 21. Jahrhundert: George Benjamins „Written on skin“ bei den Münchner Opernfestspielen

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An Kent Nagano kommt man in den letzten Wochen seiner Münchner Amtszeit kaum vorbei. Gerade hat der Dirigent eine neue Aufnahme von Bruckners Achter mit seinem Bayerischen Staatsorchester vorgelegt, nun ist er bei den Opernfestspielen omnipräsent. Als letzte Premiere stand „Written on skin“ auf dem Programm, im vergangenen Jahr mit großem Erfolg in Aix-en-Provence uraufgeführt. Im Graben des Prinzregententheaters entfaltete das Klangforum Wien unter Naganos Leitung eine auf diesem Niveau selten zu erlebende Delikatesse unerhörter Klangfarben.

Angemischt hat sie der englische Komponist George Benjamin. Er ist der Buchmaler, der die mittelalterliche Dreiecksgeschichte mit exquisiten Kolorierungen einrahmt, ohne dass auch nur ein Pigment den gesungenen Text unkenntlich machte. Es ist die Diskrepanz zwischen Benjamins nobler, zeitlose Schönheit heraufbeschwörender Distanziertheit und der durchaus handfesten Drastik der Handlung, die den Reiz, aber auch die Problematik seiner Oper ausmacht.

Librettist Martin Crimp erzählt – gebrochen durch drei moderne, gleichsam aufs Mittelalter zurückblickende Engelsfiguren – von der blutigen Rache eines eifersüchtigen Gutsbesitzers (mit doppelbödiger Präsenz: Christopher Purves). Dieser „Protector“ hat – so überliefert es eine anonyme Romanze des 13. Jahrhunderts – einen Buchmaler engagiert, der fürderhin aber nicht nur dessen materielle Besitztümer, sondern auch seine junge Frau Agnès „illuminiert“, sprich: ihre Körperlichkeit in neuem, sinnlichen Licht erfahren lässt. Zur Strafe serviert ihr der Gatte das Herz des „Boys“, sie verspeist es und stürzt sich in den Tod.

Das könnte Anlass für einen nicht minder saftigen musiktheatralen Zugriff sein. Den verweigert Benjamin aber, ohne sich auf der anderen Seite mit der gleichen Unerbittlichkeit in die Stille, den gesungenen Hauch, die Andeutungswelt eines Salvatore Sciarrino zurückzuziehen, zu dessen unwirklichem Gesualdo-Gespinst „Luci mie traditrici“ Benjamins Oper stoffliche Parallelen aufweist.

Die Vokallinien, die der Komponist den Sängern in die Kehlen geschrieben hat, sind von ohrenschmeichelnder Kantabilität. Bis auf vereinzelte, immer noch domestizierte Ausbrüche herrscht lyrische Entfaltung vor – ein Belcanto fürs 21. Jahrhundert. Zusammen mit dem fabelhaft orchestrierten, bisweilen sanft historisierenden Betörungsapparat im Graben (Holzbläser in ungewöhnlichen Lagen, Harfe, Mandolinen, Gambe, unperkussiv eingesetzte Perkussionsgerätschaften, Glasharfe…) ergibt das 90 Minuten wohligen Schauder, der bei aller Faszination aber auch eine gewisse Harmlosigkeit ausstrahlt.

Mitverantwortlich für diesen beschwichtigenden, ästhetisierenden Eindruck ist Katie Mitchells Uraufführungsinszenierung, die nach Stationen in Amsterdam, London, Toulouse und Florenz nun auch für drei Vorstellungen in München halt macht. Die symmetrisch in zwei Stockwerke mit je zwei Räumen aufgeteilte Bühne macht die Übergänge von der Gegenwart in die erzählte, durch Sprechen in der dritten Person immer wieder auf Distanz gehaltene Historie sinnfällig. Auch die Personenführung ist sensibel, doch fehlt es Mitchell an Mut, die von der Musik meist nur subkutan zum Pulsieren gebrachten Ausnahmezustände in eine eigene, zupackendere Bildsprache zu übersetzen.

In eine solche hätte sich die überragende Barbara Hannigan (Agnès) sicher mühelos eingearbeitet. Ihr hingebungsvoller, bis in exponierteste Lagen makelloser Gesang verschmolz zwischenzeitlich mit Iestyn Davies’ Countertenor (als Boy) zu einer unwirklichen, im Anschwellen instrumental anmutenden Einheit.

Großer Jubel für eine mehrheitsfähige, meisterlich gearbeitete neue Oper, die zum Klassiker avancieren könnte.

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