Man kennt sich, man hilft sich. Auch im Revier, gerade beim Thema John Cage. Tun sich Ruhrtriennale-Musiker in Bochum damit schwer, springen schon einmal Medienkünstler in Dortmund bei. Der Jubilar hat bekanntlich viele Seiten, die Anknüpfung bieten. Eine davon, Cages Erfindung der Stille im Grenzbereich von Konzert, Performance und Installation, hat jetzt eine intelligente Ausstellung des „Hartware MedienKunstVerein Dortmund“ nachgezeichnet.
Less is more. Der Schlüssel liegt in der Beschränkung. Dass sich die Dortmunder „Hartware“-Kuratoren Inke Arns und Dieter Daniels dieser alten Präsentations-Weisheit erinnert haben, ist ihrem Ausstellungskonzept ausgesprochen gut bekommen. Zunächst in der Klarheit des Parcours dieser sich über zwei Etagen im Multimedia-Turm Dortmunder U erstreckenden Ausstellung. Eine Klarheit, die sich herstellt ganz ohne die sonst üblichen Täfelchen, Audio-Guides und sonstigen Hilfsmittel der Besucherlenkung. Vielmehr haben sich Arns/Daniels eine recht einleuchtende These zum Ausgangspunkt gewählt, um daraus Struktur, Einteilung, Darstellung abzuleiten.
4‘33‘‘, das „prominenteste Stück des Künstlers“, so das Kuratorenteam, aktualisiere und transformiere „Impulse der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts“. Daraus ergibt sich für sie eine luzide Dreiteilung: Stille, sprich: 4‘33‘‘ bei Cage, bei seinen Zeitgenossen und Stille heute. Es hat die Überzeugungskraft des Einfachen, die Geschichte eines bis heute wirkmächtigen Kunst-Konzepts – „Was war Stille 1952 – und was bedeutet sie uns heute?“ – um und an einem Werk zu entfalten, dem sein Urheber den Werkcharakter gar nicht zusprechen mochte. Gegen Marcel Duchamps Ready-mades, die „Werke ohne Kunst“ sein sollten, hatte Cage sein Tacet-Stück als „Kunst ohne Werk“ charakterisiert.
Ziemlich genau sechzig Jahre ist es jetzt her, da 4‘33‘‘ am 29. August 1952 in der Maverick Concert Hall zu Woodstock N.Y. durch David Tudor uraufgeführt wurde. Kein neugieriges Mikrophon, keine indiskrete Kamera waren dabei. Über dem ‚Werk’, das wie kein anderes die Stille in die Kunst eingeführt hat, liegt seitdem selbst ein Stück Stille, Verschwiegenheit. Ein Zeichen. Verstärkt durch den Umstand, dass die Originalpartitur heute als verloren gilt. Was wiederum die Wirkungsgeschichte von 4‘33‘‘ beeinflusst hat.
Zu den schönsten Entdeckungen, die in Dortmund möglich sind, gehören die ausgestellten Partitur-Rekonstruktionen David Tudors. Berührend, wie akribisch, wie respekt-, ja liebevoll der Pianist diese wenigen Blätter mit fast Nichts darauf zu Papier gebracht hat. Auf den ersten Blick sieht man jetzt: 4‘33‘‘ ist auch eine (kalli)graphische Arbeit, gehört auch, gleichberechtigt, in die Geschichte der neueren Graphik. Beeindruckend die Schlichtheit, die bewusst herbeigeführte Naivität und damit auch (Winkelmann) die stille Größe dieser 14 Seiten mit ihren zwei einzelnen, von Hand gezeichneten Notensystemen pro Seite ohne Notenschlüssel. Dazu, exakt bezeichnet, mit Doppelstrich gekennzeichnet, die Dauern der drei Sätze, die Cage durch Zufallsoperation gefunden hatte: 0‘33‘‘, 2‘40‘‘, 1‘20‘.
Man kann den ganzen „Sounds like Silence“-Parcours durch zwei Etagen im Dortmunder U abschreiten, Cages einzigen, sicher etwas ermüdenden Film „One11 and 103“ ebenso mitnehmen wie eine angehängte verspielte Fluxus-Ausstellung und dann wieder dorthin zurückkehren. An diesen Anfang, der so ganz für sich war und der so viel ausgelöst hat. Die Stille, für die die Ausstellungsmacher plädieren und die sie in ihrer Dialektik von Cage und Cunnigham über Bölls berühmten Dr. Murke bis zu aktuellen Installationen verfolgen – diese Stille liegt sprechend-unausgesprochen über diesem Anfang. Empfehlenswert.
Sounds like Silence
Hartware MedienKunstVerein Dortmund
Dortmunder U
25.8.–6.01.2013