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Sommernachtstraum in Salzburg: Karoline Eichhorn (Titania) und das Vocalensemble. Foto: Ruth Waltz
Sommernachtstraum in Salzburg: Karoline Eichhorn (Titania) und das Vocalensemble. Foto: Ruth Waltz
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Bezüge und Querverweise: Shakespeare-Mendelssohns „Sommernachtstraum“ und Wagners „Meistersinger“ bei den Salzburger Festspielen

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Etwa zu dem Zeitpunkt, als „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Salzburg letztmals vor diesem Sommer auf dem Programm standen – 1938, in der Inszenierung des ingeniösen jüdischen Regisseurs Erich von Wymétal – erging durch die NS-Regierung an die in Nazi-Deutschland verbliebenen Tonsetzer die Aufforderung, Ersatzkompositionen für die mit Aufführungsverbot belegten Werke jüdischer Komponisten zu schaffen, dezidiert insbesondere für Felix Mendelssohn-Bartholdys Bühnenmusiken zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“.

Während mehrere Komponisten, darunter auch Carl Orff und Winfried Zillig, diesem Aufruf folgten, weigerte sich Hans Pfitzner mit dem Argument, es gäbe keine bessere Musik zum „Sommernachtstraum“ als eben die von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

In Aufführungen unserer Tage wird Mendelssohns Opus 55, die 1843 uraufgeführte Bühnenmusik, aufgrund einer insbesondere im Genre Schauspiel deutlich veränderten Ästhetik und neuer Übersetzungen nicht mehr gespielt. Insbesondere aber fehlen an Schauspielhäusern die für ein solches Projekt erforderlichen Orchester und Sänger. Den Salzburger Festspielen ist es daher hoch anzurechnen, dass sie sich dieser Besonderheit gewidmet haben. Obgleich Mendelssohns Komposition die Fassung von Schlegel-Tieck zugrunde liegt, wurde eine Shakespeares Original sehr viel näher kommende neue Textfassung gewählt: Die unverblümt frische Übersetzung des britischen Regisseurs Henry Mason ist heutig im besten Sinne und berücksichtigt dennoch sämtliche Musiknummern Mendelssohns, auch seine kurzen kommentierenden Orchestereinwürfe.

Sommernachtstraum als Para-Oper

Im Salzburger Residenzhof schafft Henry Masons Neuinszenierung die Vereinigung von historischer Werktreue (zur originalen Bühnenmusik) mit den Maximen des Regietheaters unserer Tage, als einer witzig-freche Para-Oper, in der die neuen Texte, auch die melodramatische Schlussansprache des Puck („ein Alb, der albert in der Nacht“), lustreich Vereinigung feiern.

Vereinigung ist denn auch das sattsam facettenreich ausgespielte Hauptthema des Stückes. Schon zur bereits 1826 komponierten Ouvertüre Mendelssohns entfesselt Mason ein slapstickreiches Spiel der im Heute angesiedelten Vorbereitungen zum Hochzeitsfest von Theseus (Michael Rotschopf) und seiner hochschwangeren Braut Hippolyta (Karoline Eichhorn). Dasselbe Paar verkörpert dann auch den erbarmungslosen Ehekrieg des Feenkönigs Oberon und seiner Gattin Titania um einen geraubten Wechselbalg. Hofberater Egeus (Christian Higer) spielt auch die alte Elfe, die von Puck (Markus Meyer) erst einmal in zahlreichen Stellungen befriedigt wird. Und die hinreißend komischen Handwerker (Barbara Spitz, Christian Graf, Mathias Schlung und Reinhold G. Moritz) sind auch der botanisch-animalische Hofstaat der Titania, die sich in einem riesigen Vogelnest von dem zum Esel gewandelten Zettel (Paul Herwig) begatten lässt.

Peter Squenz (Raphael Cramer) ist ein ambitionierter Jungregisseur des Stücks im Stück. An Tempo gewinnt die pausenlose, gut zweieinhalbstündige Aufführung durch Vervielfachung der handelnden Personen: Nicht nur Puck gibt es insgesamt dreimal, um zwei weitere tanzende Bocksgehörnte erweiterte, sondern auch die von ihm verwirrten Liebeswahnsinnigen Hermia (Tanja Raunig), Helena (Eva Maria Sommersberg), Lysander (Daniel Jeroma) und Demetrius (Clausius von Stolzmann) werden im nächtlichen Wald potenziert. 

Dirigent Ivan Bolton, mit dem trefflich disponieren Mozarteumsorchester hoch über dem Bühnengeschehen positioniert, spielt im besten Sinne mit, rangelt mit Oberon um den Dirigentenstab. Bisweilen wird das Orchester auch hinter einem Lamellenvorhang verborgen, wie auch der in die Höhe verspiegelte Birkenwald zunächst durch Folien verdeckt ist, mit dem Hinweistransparent auf ein „Herzogsmitternachtseinlagencasting“. Trotz Handy-Navigation und Insektenspray gewinnen Blätter streuende Elfen die Oberhand über die im Wald probenden, sich liebenden und schlagenden Jugendlichen aus Athen.

Namhafte SolistInnen – im Gegensatz zu den Schauspielern ohne Mikroports – bilden für die Chöre ein 24-köpfiges „Vokalensemble“, sind aber auch figurativ in den 33-köpfigen Zug der Titania eingebunden. In der Choreographie von Francesc Abós machen alle Mitwirkenden auch tänzerisch eine gute Figur. Ein Höhepunkt des Abends ist der von Bolton ekstatisch dirigierte, in voller Breite turbulent ausgespielte Hochzeitsmarsch, klanglich rasant und mit geradezu aggressiv stoßendem Blech. Nachdem Puck im stimmungsreichen Schluss-Melodram betont hat, „Kritik ist leicht, Kunst ist schwer“, gibt es ausschließlich Beifall und heftige Bravorufe, wie in der Oper.

„Die Meistersinger“ als Spiel mit Rezeptionsebenen

„Ein Kobold half wohl da!“ heißt es im dritten Aufzug von Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“, und wie schon in der aktuellen Inszenierung am Staatstheater Nürnberg von David Mouchtar-Samorai, schlägt auch Stefan Herheim in Salzburg sinnfällig den Bogen von Wagners mittelalterlicher Handlung zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, welcher in der von Richard Wagner geschätzten Übersetzung durch Christoph Martin Wieland „Ein St. Johannes Nachts-Traum“ heißt. Allerdings entsteigen in dieser Szene der Salzburger Neuinszenierung  einem Märchenbuch Grimms beliebteste Figuren und bilden einen fulminant-chaotischen Reigen.

Ein Coup der Bühnenbildnerin Heike Scheele zoomt per Video auf Teilaspekte von Sachsens weit gestreckter, realistisch gebauter Arbeitswohnung, die gegen Ende des Vorspiels von einer weißen Gardine als Projektionsfläche verschlossen wird, welche nach dem Öffnen diese Teilaspekte als stark vergrößerte, praktikable Dekorationen freigibt: im ersten Aufzug der mit einer Orgel gekrönte Schreibtisch als Kirchen und Singschul-Raum, im zweiten Aufzug ein rustikaler Schrank und eine Anrichte in Rotbuche als Außenansicht des einfachen Sachs- und des reichen Pogner-Hauses, dazwischen eine gekrönte Schopenhauerbüste auf Sockel und im Hintergrund Lagerregale als Fachwerketagen. Diese Dekorationsidee löst sich im Spiel wundervoll ein, und einer Textänderung, wie „Der Schuster muss erst vom Laden fort“ anstelle des originalen „muss erst vom Fenster fort“ (in Übertitelung und Gesang) hätte es wahrlich nicht bedurft.

In dieser Liliput-Welt werden Bücher zu Stufen, zinnene Pokale zu Sitzen der Meistersinger und getrocknete Blumen in Brentanos „Wunderhorn“-Buch zu großen Spielrequisiten. Der nächtliche zweite Aufzug mischt dann Utensilien, wie Hammer und Schuhe, in normaler und in Übergröße, und die Festwiese steigert noch einmal das Durch- und Miteinander kleiner und großer Teilaspekte. Aus der Zeit seiner kinderreichen Ehe ist in Sachsens Wohnung noch eine verwaiste Kinderstube vorhanden, mit Wiege, Kasperletheater und Bausteinen, diese Nische beherbergt auch das Schaukelpferd aus Herheims epochaler Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung. Hinter dem Puppentheater verstecken sich Walther und Eva im zweiten Aufzug, und im Zwischenspiel des dritten Aufzuges spielen sie Kasperle, Grete und Krokodil, die übergroß auch auf der Mitte der Szene gedoubelt werden, – was relativ zeitkoinzident eine Parallele zu den Krokodilen im Schlussakt von Frank Castorfs Bayreuther „Siegfried“-Inszenierung schafft.

Aber auch Katharina Wagners Gleichsetzung von bildender Kunst und Meistergesang fließt rezeptiv in Herheims Deutung mit ein: Sachs ist bei ihm nicht nur Komponist, der gleich Wagner die gesamte Handlung aus seiner Idee des mit deutlichem zeitlichem Abstand (bereits im Jahre 1862) antizipierend abgeschlossenen  Vorspiels entwickelt. Das von Stolzing besungene „Bild“ ist Sachs’ in Arbeit befindliches Gemälde von Eva auf einer Staffelei; aber der belastende Beweis für eine intensive Beziehung zwischen Sachs und Evchen überdauert nicht, denn der Gesamtkunstwerker zerstört es bei seinem Wutanfall in der vierten Szene.

Im Fenster der verglasten Anrichte (köstlich die Detailliebe, mit einem vergrößerten Fingerhut als Sitz) verwandelt sich die dunkelhaarige Magdalena (Monika Bohinec) mit einer blonden Perücke optisch zwingend in Eva; sie lässt einen überlangen Zopf für Beckmesser herab, der dann zu einer Schlinge wird, die sich um den Hals des Bewerbers legt.

In der Mitternachtsstunde entsteigen Grimms Märchenbuch Schneewittchen und die sieben Zwerge, Rotkäppchen, Frau Holle, der gestiefelte Kater, das tapfere Schneiderlein, der Mäuse- und der Froschkönig, – und der Goldesel übernimmt das Spiel auf Beckmessers Laute. Dabei schafft das Spiel dieses zweibeinigen Esels ebenso den Bezug zu dem in einen Esel verwandelten Zettel in Shakespeares „Sommernachtstraum“, wie zu dem mit Eselsohren gekrönten Beckmesser in Wieland Wagners legendärer Bayreuther Inszenierung der „Meistersinger“ auf der Shakespeare-Bühne im Jahre 1963. Ein Falter senkt sich auf die nächtliche Prügelszene, bevor ein Salzburger Schnürlregen den Spuk der Mittsommer- oder auch Johannisnacht beendet.

Die Travestie der Märchenfiguren, die als Reminiszenz an die vergangene Nacht in der Beckmesser-Pantomime erneut auftauchen, gemahnt an Siegfried Wagners wilde Collage von über 80 Märchen und Märchenelementen in Opus 11, „An Allem ist Hütchen Schuld!“. Bei Herheim ist insbesondere Schneewittchen ein begehrtes Lustobjekt, zunächst des rothaarigen Schneiderleins (der beim Zunftchor erneut im Bock steckt), aber im dritten Aufzug wird Schneewittchen gar in Sachs’ Schrank mit einem Zwerg in flagranti ertappt.

Gesine Völlm hat Solisten und Chor (die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) einfalls- und farbenreich kostümiert, mit biedermeierlichen Anleihen bei Carl Spitzweg und Wilhelm Busch, den Ritter Stolzing als Burschenschaftler mit Florett.

Herheims Inszenierung ist reich an originellen Einfällen und neuen Spielmotiven, etwa einem Frühstück, welches Sachs (noch im Nachthemd) für Stolzing (noch in Unterwäsche) aus jenem Korb zaubert, den David der heimlich mit ins Haus gebrachten Magdalena verdankt. Ganz bewusst baut Sachs die Falle für Beckmesser, die Niederschrift von Walters Preislied zu finden. Er beobachtet den Vorgang, wenn Beckmesser das Blatt im Genitalbereich seiner Hose verschwinden lässt, wo Sachs es dann selbst hervorzieht um es später wieder genüsslich dahin zu versenken.

Der Schlussakt fällt ab

Witz, Spielfreude, Spaß und Tiefsinn sind in den ersten beiden Akten zum Überborden gepaart – aber wie so häufig bei diesem Regisseur, scheint ihm im Schlussakt die Luft auszugehen. Da wird etwa eine vordem zwischen Goethe und Beethoven versteckte Büste Wagners enthüllt.  Gleichwohl gibt es auch auf der – ebenfalls in räumlicher Hinsicht – nicht mehr optimal gelösten Festwiese mehrere treffliche Momente zu bestaunen. Der Nürnberg-Fürther Eisenbahn (die in diesem Zusammenhang erstmals im Sommer 2000 in der Berliner Festwiesen-Inszenierung auf dem Gendarmenmarkt, auch von Arte übertragen, zu sehen war), entsteigen schwellköpfige Fürther Lustmädchen-Puppen (die an Katharina Wagners Schwellköpfe im Schlussaufzug der „Meistersinger“ erinnern), zur Bühnenmusik klatscht das Volk rhythmisch pointiert und der Foliant einer Shakespeare-Ausgabe dient als Singpodest.

In seiner ansonsten bewusst entpolitisierten Sicht auf Wagners Oper weiß der Regisseur mit der teutonischen, antiwelschen Mahnung Aufruf in Sachs’ Schlussansprache nichts anzufangen. Walter Keller hat diese Stelle, die sowohl sprachlich semantisch als auch aus dem strikten formalen Aufbau dieser Partitur herausfällt, zwingend als einen von Wagner intendierten Kürzungsvorschlag analysiert, als ein hintersinniges Procedere des Komponisten mit dem erst nachweislich spät und nur auf intensives Drängen seiner Gattin Cosima noch in die Partitur eingefügten Einschub (Walter Keller: Parsifal-Variationen. Tutzing 1979). Aber bislang haben meines Wissens nur die Inszenierung von Wolf-Siegfried Wagner in Bremerhaven und die Berliner Inszenierung im Jahre 2000 diesen auf Wagner selbst zurückführbaren Kürzungsvorschlag realisiert und dabei bewiesen, wie musikalisch stimmig Sachs’ Schlussansprache in dieser Form überzeugt.

Herheim aber wählt – im Sinne von Alfred Lorenz’ Formanalyse – eine „nationale Verdüsterung“ mit Sachs im Spot. Der personifizierte deutsche Michel, der sich angesichts der Zustimmung des Volkes zu seiner Ansprache einen Moment lang selbst krönen will, verwandelt sich wieder in den Dichterkomponisten des Anfangs, im Nachthemd und mit Zipfelmütze. Das Spiel dauert auch beim Applaus vor dem Vorhang noch an: Sachs und der identisch gewandete Beckmesser reißen sich gegenseitig die Schlafmützen vom Kopf.

In den Schlussapplaus der dritten Aufführung mischen sich auch einige Buhrufe für die nur den lyrischen Passagen der Oper entsprechende Eva von Anna Gabler, für Roberto Saccà, der die Partie des Walther von Stolzing jedoch mühelos leicht und glänzend bewältigt, sowie für Daniele Gatti, unter dessen Dirigat Orchester und Bühne oft nicht zusammen sind, der aber den Wiener Philharmonikern im offenen, etwas zu hoch gefahrenen Graben viel Italianità entlockt, transparent und durchaus reibungsstärker als im Bayreuther mystischen Abgrund.

Michael Volle als Sachs bringt einen vielschichtigen, stimmlich vielfältig differenzierenden Sachs auf die Bühne: so imponierend war diese Partie seit Jahren nicht mehr zu erleben. Markus Werba als sein Gegenspieler ist ein gleichermaßen die Komik bedienender, wie mit Belcanto die Absonderlichkeiten und Modernität der Partie betonender Beckmesser. Großartig Georg Zeppenfeld als Veit Pogner, stark charakterisierend Oliver Zwarg als Kothner, frisch und jugendlich Peter Sonn als David, und mit herrlichem Bassfundament der beim letzten Hornruf platt zu Boden stürzende Nachtwächter von Tobias Kehrer. Trefflich differenzierend die mitunter wie Maikäfer auf dem Rücken strampelnden Meistersinger Thomas Ebenstein (Vogelgesang), Guido Jentjens (Nachtigall), Benedikt Kobel (Zorn), Franz Supper (Eißlinger), Thorsten Scharnke (Moser), Karl Huml (Ortel) Dirk Aleschus (Schwarz) und Roman Astakhov (Foltz).

Durch Unachtsamkeit Felix Mendelssohn-Bartholdys war Wagners Originalpartitur seiner ersten Symphonie in C-Dur verloren gegangen. Dafür war Wagner auf seinen Kollegen schlecht zu sprechen; das hat ihn aber nicht davon abgehalten, dessen berühmten Hochzeitsmarsch aus dem „Sommernachtstraum“ als Paten für sein Vorspiel zum dritten Aufzug des „Lohengrin“ zu wählen – so wie sich Hans Sachs zum Paten für Walther von Stolzings Weise macht. Wagner und der von ihm geschmähte Mendelssohn trafen sich nun in Salzburg: der Festspielsommer paart sie in einem gemeinsamen „wunderbare[n] witzige[n] Lächeln am Shakespeare“ (Wagner).

Weitere Vorstellungen „Ein Sommernachtstraum“:  16., 18. und 22. August 2013
Weitere Vorstellungen „Die Meistersinger von Nürnberg“: 20., 24. und 27. August 2013

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