Hoffmann geht es nicht besonders gut. – Jedenfalls bei weitem nicht so gut wie seinem Doppelgänger, der fast jeden Abend auf einer der Opernbühnen der Welt um seine drei bis vier Lieben ringen darf. Denn Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, der sich selbst nicht in erster Linie als Dichter, Theaterkapellmeister oder als Maler und schon gar nicht als Kammergerichtsrat sah, sondern als Tonsetzer, ist als Komponist weithin unterbelichtet geblieben.
In dieser Saison kümmert sich immerhin die Stadt Bamberg um die verschiedenen Facetten seines Œuvres, und von Hoffmanns umfangreichem Schaffen als Musikdramatiker stehen wenigstens „Aurora“ und „Undine“ auf dem Programm. Das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz eröffnete seine Spielzeit mit der Erstaufführung seiner tiefstapelnd „Singspiel“ genannten, dreiaktigen Oper „Liebe und Eifersucht“ aus dem Jahre 1807. Die PR-trächtige Behauptung des Gärtnerplatz-Theaters, dieses Werk komme damit „201 Jahre nach seiner Entstehung zum ersten Mal auf die Bühne“, ist falsch. Zwar kamen die zu Lebzeiten Hoffmanns geplanten Aufführungen in Berlin, Bamberg und Würzburg nicht zustande. Gleichwohl erfolgte die szenische Uraufführung bereits am 12. Juli 2002, anlässlich der Eröffnung der „Deutschen Akademie für Kulinaristik“ auf dem Flaggenhof der Plassenburg in Kulmbach; die Produktion des Pianopianissimo-Musiktheaters München wurde allerdings nur von zwei Klavieren begleitet.
Mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Michael Hofstetter und den Solisten des Gärtnerplatztheaters erklang die Partitur am 27. Juli 2008 erstmals in Originalgestalt mit zweifachem Holz, zweifachem Blech, Pauken und Streichern. Bei der Münchner Erstaufführung begleitete das Orchester des Staatstheaters unter Andreas Kowalewitz eine verkürzte, von Graham Cox eingerichtete Fassung. Obgleich sauber und zumeist auch beschwingt musiziert wurde, wollte der Funke nicht recht überspringen. Zu gleichförmig die Dynamik, zu unklar die Umsetzung von Hoffmanns eigenwilliger Dramaturgie der Tonart- und Tempowechsel. Auf den von Hoffmann hier nur einmal, aber höchst wirkungsvoll eingesetzten Chor wurde ganz verzichtet. Bühnenbildner Ezio Toffolutti hat sich als Regisseur mit einem die Bühne füllenden Naturlabyrinth einen Bärendienst erwiesen.
Spielerische Umsetzungen Hoffmannscher Zeichnungen – darunter der vermenschlichte Schachautomat und ein frühes Fahrrad – , Biederkeit und Biedermeier helfen der Geschichte da nicht weiter, wo Türen und Abgründe gefragt sind. Denn Hoffmann verkürzt die Schlegelsche Calderón-Übersetzung vom Liebesirrsinn dreier Paare und den Obstruktionen eines selbst liebestollen, aber impotenten Herzogs zu einer Verwirrorgie dritten Grades, in der die von ihm musikalische gewählte Mozart-Nähe sukzessiv ausgehöhlt wird. Erwartete Kadenzen unterbleiben, der Zuhörer stürzt im freien Fall emotionaler Hochspannung von Exzess zu Exzess. Das hat wahrlich mehr mit Choderlos de Laclos’ „Gefährliche Liebschaften“ zu tun als mit „Cosí fan tutte“. Diese Partitur bedarf auch keiner Soubretten, sondern dramatischer Stimmen. Einzig der Tenor Robert Sellier als im Dienste des Herzogs bis zum Wahnsinn gebeutelter Liebhaber und der Bassist Stefan Sevenich als sein Bedienter Ponlevi ließen erahnen, welche Untiefen Hoffmanns Oper auszeichnen.
Hoffmanns Überzeugung, „Wird diese Oper einst gut gegeben, so kann sie meinen Ruf für immer begründen“, wurde also mit der Münchner Produktion nicht erfüllt. Darauf muss der 1776 in Königsberg geborene und 1822 in Berlin verendete Hoffmann wohl weiterhin warten…