Bittere Wahrheiten über das Konzertleben

In einem sinnentleerten – konventionellen – Konzert müsse ein sinnvolles Stück Anstoß erregen; da aber keine Musik vom Anstoßerregen leben könne, gibt es die Institutionen für Neue Musik, deren schönster Erfolg wäre, dass sie überflüssig würden. Einstweilen spielen Komponisten und Interpreten in ihnen die Rolle des Narren. Darin stimmte ihm Urs-Peter Schneider aus Biel zu, der in einem Gespräch meinte, dass die Veranstaltungen der Neuen Musik grundsätzlich kein anderes Publikum hätten als Sinfoniekonzerte, weil jedes Konzert-Publikum die persönliche Konfrontation mit den Künstlern suche. Aber an diesem „Künstler“-sein liegt den Interpreten Neuer Musik wenig; lieber sehen sie sich als Clowns, die dem Publikum bittere Wahrheiten sagen. […]

In den Niederlanden ist nicht nur die Demokratisierung innerhalb der Institutionen weit fortgeschritten – Walter Maas von der Stiftung „Gaudeamus“ konnte auch über eine Reihe höchst unkonventioneller Aktivitäten berichten, die gemeinsam haben, daß sie die Musik vom Piedestal der hohen, sei’s gar metaphysisch erleuchteten Kunst herunterholen. Über das Musikleben in Österreich als „ein beunruhigtes Gewohnheitsrecht“ referierte Dr. Harald Goertz […]. Er ging dabei von der wohl nicht unrichtigen Prämisse aus, dass die „musikalische Weltgeltung“ – als Ersatzfunktion für die ehedem größere staatliche Geltung wahrgenommen – dem Österreicher auch von außen eingeredet werde, obwohl dieser vielleicht selbst nicht mehr recht daran glaube. […]

Claus-Henning Bachmann, Neue Musikzeitung, XXII. Jg., Nr. 3, Juni/Juli 1973