Zukunftsmusik? Das Finale des 55. Bundeswettbewerbes „Jugend musiziert“ 2018 steigt samt Bundeskanzlerin Ursula von der Leyen im Berliner Olympiastadion. Die Bude ist rappelvoll. Public Viewings allerorten. Seit der Contest von alten pädagogischen Zöpfen gründlich befreit wurde und Stefan Raab 2014 die künstlerische Leitung übernahm, hat sich die Popularität dieses Musik-Shoot-Outs vertausendfacht. Ganz entscheidend für den Erfolg natürlich die Umgestaltung der einst öden, undurchsichtigen Wertungsspiele in einen offenen Gladiatoren-Modus.
[Vorabveröffentlichung aus der nmz 6/2013]
Bei geilem Show-Ambiente treffen Nachwuchs-Talente in „Battles“ direkt aufeinander. Über Sieg und Niederlage entscheidet eine dreiköpfige Fach-Jury: Dieter Bohlen, Uli Hoeneß und Anne Sophie Mutter. Das Publikums-Voting ist mit einem Euro pro Anruf günstig. Es spült der Deutschen-Musikrats-GmbH & Co.KG (DMR) ein paar Millionen in den Etat. Mehr Ertrag liefern Senderechte (Quotenrekord für RTL 2) und Sponsoren-Gelder (führend: Toyota und der deutsche Mittelständler Heckler & Koch). Dank sensationeller Performance samt maximalem Popularitäts-, Inklusions- und Jugendbildungsfaktor schloss die Bundeskanzlerin bei der Siegerehrung sogar DMR-Präsident Thomas Goppel in die Arme. Der war jüngst in die Schlagzeilen geraten, weil er den Berliner Veranstalter, die Gorny-Corporation, mit zwanzig Millionen Euro ungeklärter Herkunft dazu bewegen wollte, den Event in die Münchner Allianz-Arena zu verlegen …
Schluss mit lustig. Was haben Kulturhöhlen-Troglodyten im Vergleich zu den omnipräsenten, millionenschweren Lederkugel-Schubsern falsch gemacht? Alles? Sie versäumten, sich dem dekadenten, materialistischen Zeitgeist anzupassen. Sie haben sich als Reklamefläche für die im vierjährigen Maikäfer-Rhythmus kurzlebig aufbrummenden Profi-Polit-Opportunisten zu wenig geschmeidig, zu wenig selbstbewusst angedient. Sie hielten an offenbar überkommenen Werten fest: individuelle Persönlichkeitsentwicklung, Transport gewachsener humanistischer Haltung, Mut zur unbequemen Vision. Das lässt sich nicht in Dreißig-Sekunden-Spots transportieren. Dafür reicht kein Twitter-Tweet – und kein G 8.
Ein kleiner Blütenwuchs in der kulturpolitischen Wüste Gobi: Bundespräsident Joachim Gauck lud als Schirmherr – zum fünfzigsten Geburtstag von „Jugend musiziert“ Teilnehmer und Gestalter ins Schloss Bellevue. Feine Anerkennung für zivilgesellschaftliches Engagement. Doch zurück im Alltag bleibt festzustellen, dass unsere Orchester- und Theaterlandschaft sich in grausiger materieller Bedrängnis befindet, Schutz unter dem schwachen Etikett „Weltkulturerbe“ suchen will. Wir werden demnächst erfahren, wie Sachsen-Anhalts Regierung mit den landesübergreifend beispielhaften Ergebnissen ihres Kultur-Konvents umgeht. Wie viele Museen, Büchereien, freie Initiativen dann im Regen stehen. Und man darf jetzt schon vorhersagen, dass sich die prekäre Situation zahlreicher Künstler und Kultur-Pädagogen nicht verbessern wird. Die Abseits-Regel haben viele unserer ballverliebten Volksvertreter, was die Kultur betrifft, sehr einseitig verinnerlicht: Kultur steht im Abseits.