Joseph von Eichendorff hat das „Gran teatro del mundo“ von Pedro Calderón de la Barca (1600–1681) ins Deutsche gebracht, Hugo von Hofmannsthal dieses Auto sacramental zum „Salzburger Großen Welttheater“ bearbeitet. Das allegorische religiöse Schauspiel entsprang just jener Zeit, in der die Engländer den Spaniern die Dominanz auf den Weltmeeren endgültig streitig machten: sie brachten einige Schlüsselländer im spanisch-portugiesischen Kolonialreich gewaltsam an sich und eine singuläre Allianz mit dem „Erzfeind“ Frankreich gegen Felipe IV zustande.
In dessen Regierungszeit, die große Dekadenzphase Spaniens, fällt das Schaffen Caldróns fast in Gänze. Gerade das „Gran Teatro del mundo“, ein dezidiert ideologisches Werk, kann daher in sinnhafter Weise nicht nur als ‚Theater auf dem Theater’ begriffen werden. Es gilt, das Reaktive dieses Werks aufzulösen: diesen Appell in einer Situation, in welcher mit der für gottgegeben erachteten Herrschaft auch der autoritäre Glaube bedroht erschien – und wieder gefestigt werden sollte.
Ein gewaltiges und an Gewalteinwirkung gemahnendes Bild wartet auf die Zuschauer im Freiburger Theater: Die Bühne des Großen Hauses ist verstellt mit einer Vielzahl von Metallrohren, wie sie in weiterverarbeiteter Form als Orgelpfeifen Verwendung finden. Eine Riesenfaust oder explosive Erschütterungen scheinen sie durcheinandergekegelt zu haben. Nachdem der „Schöpfer“ durch diesen Wirrwarr gestolpert ist und offensichtlich mit der Nase an den chaotisierten Zustand seiner einstigen Ordnung stößt, erhebt sich das Riesen-Mikadospiel und sortiert sich in der Höhe. Es bleibt dort drohend hängen über dem allegorischen Spiel von Geburt und Tod.
Es geht um den Eingang zur und dem Ausgang aus der Welt. Der Orgel-Ton wurde ergänzt um den des doppelt aufgebotenen Harmoniums und ein Schlagwerk, das sich um klingende Röhren gruppiert. Der katalanische Komponist Carlos Santos entwickelte eine Theatermusik nach altbewährter Rezeptur. Clemens Flick setzte sie um. Er koordiniert vom einen Harmonium aus die Sänger, wechselt virtuos zur elektronischen Orgel. Er läßt die Finger über die Tastatur flitzen oder setzt ihr mit höherer Hackkunst zu. Mit ihm hat die Produktion zugleich einen Dirigenten gefunden, der die Zeitabläufe und dynamische Nuancen sicher im Griff hat.
Teile des Textes, die der Dramaturg Josef Mackert und der spanische Autor Marc Rosich aus dem großen „Welttheater“-Kontingent Calderóns übrigließen, verarbeitete Carlos Santos unter Rückgriff auf ältere geistliche Musik zu Gesangsnummern. Sie werden spanisch gesungen, im übrigen wird deutsch gesprochen. Der counternde Xavier Sabata, ein Kraftdarsteller der höchsten Instanz, verleiht dem göttlichen Wohlbehagen an der absoluten Willkür Ausdruck und profiliert sich rücksichtslos als „Spielleiter“.
Der göttliche Sabata, der aussieht wie ein Zwillingsbruder des Regisseurs Bieito, gibt zu Kund und Wissen: daß die Welt ein Theater sei, das ER, der „Schöpfer“, sich erschaffen habe zu seinem Pläsier. Damit setzt er – ganz nach der Intention Calderóns – eine weit über den Theaterhorizont hinausreichende Versuchsanordnung in Gang. Für sie schafft die Mezzosopran singende Welten-Mutter die weiteren Voraussetzungen: Leandra Overmann repräsentiert dieses Prinzip Erde, stimmstark und in glaubhafter Weise bodenverhaftet. Ihre Brüste werden vom Schöpfer gründlich abgegriffen. Ihr beugen sich sechs typisierte Figuren – vom König bis zum Bettler und zum totgeborenen Kind – sowie drei allegorische Figuren: Die in Gestalt von Iris Melamed leidende Weisheit, die sinnigerweise von Nicole Reitzenstein dargestellte Schönheit und das Gesetz der Gnade, das Jana Havranová voluminös und mit nachdrücklicher Würde ausstattet. Sie alle konnten sich die Rolle, die sie ungeprobt zu spielen haben, nicht selbst aussuchen. Im weiteren Verlauf des Abends wird man daran erinnert, daß sich nach dem Tod den „guten Werken“ nichts mehr hinfügen läßt (dies trifft zu – allerdings auch, daß die wenigstens über ihr Ableben hinaus noch Untaten organisieren, für die sie zur Verantwortung zu ziehen wären).
Calixto Bieito ließ eine große Plastikblase unter die Röhren-Installation rollen. Aus ihr pellen sich, den Geburtsvorgang stilisierend, neben dem König und dem reichen auch der arme Mann, der Bauer, die verirrte Seele und das Kind, das überhaupt nicht ins Leben gelangt. Alle werden sie in der gleichen Brühe im Zinkzuber gewaschen. Und alle müssen am Ende in die Plastiksäcke, in denen es – wohlauf, wohlan – nackt und bloß hinaus zum letzten Weg geht. Allen dünkt dies zu früh (bis auf den Bettler, der sich lediglich seines Elends entledigt). Bieito hat auch beim „Welttheater“ gemacht, was er so gut wie allen anderen Stücken allemal zudenkt: er hat Körper aufeinanderprallen lassen mit und ohne dramaturgischen Sinn und Verstand (z.Zt. vorzugsweise a tergo); er hat die Darsteller zum Schwitzen, Schreien und Bluten gebracht und damit vor allem auch den besser verdienenden Frauen im Publikum so viel Freude bereitet, daß einzelne von ihnen den frenetischen Applaus mit hohen spitzen Schreien krönten.
Hinsichtlich der religiösen Botschaft des Werks verhielt sich die Inszenierung apologetisch (abgesehen vielleicht von einer Episode, bei welcher der omnipotente Schöpfer die Weisheit zu Boden wirft und in einer Wasserlache vergewaltigt). Der von Calderón gepredigte Quietismus, obschon durch die freizügige Bearbeitung des Textes gefiltert, erscheint Bieito nicht kritikwürdig. Die mechanisch hinzugesetzte schwitzende, schreiende, blutige und spermienspritzende Anstößigkeit seines Inszenierungsmodells erscheint sogar geeignet, die spanische Hof- und Inquisitions-Ideologie des Jahres 1655 wieder salonfähig zu machen. Dieser Regisseur ist keinesfalls nur ungebildet. Er agiert instinktsicher reaktionär oder aus Kalkül. Carlos Santos hat ihm eine Sorte „angewandter Musik“ geliefert, die in den Tagen zwischen 9.-November-Gedenken und Totensonntag recht am Platz ist: Glaubensmusikgenährt und virtuos, expressiv und intensiv.