Toshio Hosokawas Oper „Hanjo“, ein Auftragswerk des Festivals Aix-en-Provence des Jahres 2004, wurde bei der Ruhrtriennale 2011 vom Publikum heftig gefeiert. Die Bochumer Inszenierung von Calixto Bieito, eine Koproduktion mit der Berliner Staatsoper, ist jetzt auch in Berlin zu erleben.
Die Kammeroper überspannt in ihren optischen Dimensionen gleichwohl die Bühne des Schillertheaters. Das auf den Zuschauer zuverlaufende Bahngleis, eine Art von Reverenz an Götz Friedrichs Eröffnungs- und Abschiedsinszenierungen am schräg gegenüber liegenden Haus der Deutschen Oper Berlin, nimmt auch noch die ersten drei Reihen vor jenem Orchestergraben ein, der für die Umwandlung ins temporäre Ersatz-Staatsopernhaus im Schiller-Theater ohnehin stark ins Auditorium erweitert wurde.
Auf dem Schienenstrang balanciert eine weiße Ballerina im Nebel, die drei Jahre vergeblich auf ihren Geliebten wartende Ex-Geisha Hanako, die von der heftig in sie verliebten Künstlerin Jitsuko Honda frei gekauft worden war. Ein Zeitungsbericht bringt ihren Traummann Yoshido wieder auf ihre Spur, aber Hanako vermag den täglich mit Inbrunst erwarteten Geliebten nicht mehr zu erkennen, obgleich dieser den drei Jahre zuvor gegen ihren Fächer eingetauschten Fächer mit Mondblumen als Beweisstück mit sich führt. Also hat Janiko die Geliebte, die künftig auf nichts mehr warten wird, ganz für sich gewonnen. Die auf einem No-Spiel von Yulio Mishima basierende Geschichte hat sich Komponist Toshio Hosokawa selbst in ein einaktiges Libretto verwandelt.
Im Bühnenbild von Susanne Gschwnedner lodert auf der linken Bühnenseite ein offenes Feuer, in welchem Jitsuko die Zeitung verbrennt, die dann als ein vervielfachter Aschenregen auf die Szene schneit, auf der rechten Seite ein rechteckiger Tümpel, in dem Yoshiko sein Leben beendet, da ihm hier – im Gegensatz zur Spielvorlage – der Abgang nicht gelingt.
Die Instrumentalisten der Staatskapelle sitzen auf der Bühne und tragen, der japanischen Vorlage geschuldet, weiße Stirnmasken. Links vorne an der Rampe sorgt Dirigent Günther Albers ohne Maske souverän und mit viel Sinn für das Gebot der Szene, gleichermaßen für Entschleunigung, wie für sinnliche Traumklangbereiche. So nehmen die ungreifbaren Klangflächen dieser Partitur, ohne merkliche Vorwärtsbewegung, den Hörer nachhaltig gefangen.
Die Streicher – zwei erste, drei zweite Violinen, drei Bratschen, zwei Violoncelli und ein Kontrabass – berühren anfangs kaum ihre Saiten. Harfe, solistisches Holz und Blech, intonieren zum inneren Zusammenklang mit sparsam eingesetztem Schlagzeug und Celesta.
Hinzu kommen, wohl produktionsbedingt durch die auf einem Schienenstrang anstelle des original im Atelier der Jitsuko spielende Inszenierung, noch Zuggeräusche beim Auftritt des Yoshiko und – wiederholt bewusst eingesetzt – die Klänge der Steine des Bahngleises.
Der Komponist arbeitet farbenreich mit wiederkehrenden Klangschemata. Dunkle Klangfarben setzt er nur bei der Ankunft des Yoshiko ein. Den knapp anderthalb Stunden der Aufführung entsprechen die Jahre des Wartens der raum- und zeitlosen Handlung. So wird die Aufführung zu einer Art von Zen-Meditation fürs Publikum, ein Warten als buddhistischer Ist-Zustand.
Den theatralen Coup schafft jedoch die der Entwicklungslosigkeit gegensteuernde Inszenierung von Calixto Bieito. Seine diesmal wenig provokante, aber sehr intensiv gearbeitete Regie spitzt die Konflikte zwischen den Handlungsträgern zu. Dabei kratzt der Regisseur heftig an den Grenzen zwischen Liebe und Gewalt. Hanakos Fächer der Mondblumen trägt Yoshiko auf seiner Brust tätowiert, wie auch Hanako den Fächer Yoshikos körperlich versinnlicht hat, eine Schneelandschaft auf ihren Brüsten, mit blutigen Brustwarzen.
Wie schon in Bochum, paart Ursula Hesse von den Steinen als Jitsuko pralle Sinnlichkeit mit betörender Alt-Tessitura und exzessivem Spiel. Ebenfalls mit der Bochumer Premiere identisch besetzt ist Georg Nigl als Yoshiko: kraftvoll, aber in der dritten Aufführung leider hörbar angeschlagen, vielleicht weil er die gesamte, abschließende sechste Szene hindurch mit Kopf und Oberkörper reglos im Wasser liegen muss. Neu im Dreierregen dieser verlorenen drei Seelen ist die schwedische Koloratursopranistin Ingela Bohlin als Hanako, mit facettenreichem, traumhaft schönem Gesang in der kalligraphisch melismierenden, mäandernd stets zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrenden und damit quasi zeitlos schwebenden Gesangslinie.
Die in englischer Sprache gesungene, deutsch übertitelte Produktion macht Hosokawas „Reise ins Reich der Träume, um sich langsam an die Ränder des Schweigens zu drehen“, zu einem schwebenden Psychotrip, der vom Publikum intensiv mit vollzogen und mit vielen Bravorufen bedacht wurde.