Gotik-Musik-Ensemble aus Oberfranken präsentiert neueste Erkenntnisse der Musikforschung ++++ Erste Wiederaufführung von Walther von der Vogelweides „Palästinalied“ am Samstag (11.10.) in Schloss Wernsdorf bei Bamberg.
Wernsdorf (ddp). Die Musik der Gotik gilt bislang als so gut wie unerforscht. Doch das soll sich ändern, wenn es nach dem wissenschaftlich inspirierten Mittelalter-Musik-Ensemble Capella Antiqua Bambergensis aus Wernsdorf bei Bamberg geht. Die Musiker werden am Samstag in Schloss Wernsdorf erstmals das sogenannte Palästinalied des berühmtesten höfischen Dichters und Minnesängers Walther von der Vogelweide (um 1170-um 1230)in einer rekonstruierten Fassung präsentieren.
In sechsmonatiger Vorbereitungszeit hat das Ensemble das aufgrund der original überlieferten Noten schon seit Jahrhunderten bekannte Stück neu erschlossen. Grundlage sind die Wiederentdeckung der bislang als unbekannt geltenden Rhythmik des Liedes und historisch rekonstruierte Instrumente.
«Man muss den Mut haben. Wir sind Praktiker», sagt Professor Wolfgang Spindler, der selbst das historische Streichinstrument Trumscheit spielt. Der 70-jährige Musikwissenschaftler ärgert sich, dass die Musik der Gotik in der Fachliteratur kaum vorkommt. «Über die Musik der Gotik traut sich niemand von meinen Kolleginnen und Kollegen zu schreiben.»
Lediglich 1943 habe der deutsche Musikwissenschaftler Joseph Schmidt-Görg ein dünnes Bändchen über die Musik der Gotik veröffentlicht. Das Urteil fiel vernichtend aus. «Das ist primitive Musik», war sich Schmidt-Görg sicher. Eine Aussage, über die sich Wolfgang Spindler immer noch ärgern kann. «Er hat die Musik nie gehört, und es ist eine Gemeinheit, so einen Satz zu schreiben», sagt er. Und sein Sohn Andreas Spindler fügt hinzu: «Schmidt-Görg hat es auch nie auf den originalen Instrumenten ausprobiert, er saß am Klavier und hat es dort gespielt. Das gibt aber den falschen Klang und die falsche Stimmung. Das ist dann ungefähr so beeindruckend, als würde Thomas Gottschalk in einem Wohnzimmer auftreten. Da gibt es keine Wirkung.»
Dass die Musik der Gotik alles andere als primitiv war, davon sind die beiden Mitglieder des Ensembles Capella Antiqua Bambergensis überzeugt. Der gelernte Instrumentenbauer spielt selbst die Ud, eine arabische Laute. Denn «die Musik der Gotik wurde vor allem aus dem arabischen Raum inspiriert», sagte Spindler.
Und genau dort stieß Andreas Spindler bei Recherchen auch auf die Rhythmik und das Intro des bekanntesten Liedes des Minnesängers Walther von der Vogelweide. Eher zufällig wurde er auf eine arabische Überlieferung aufmerksam. «Ich habe mir gedacht, das kennst du doch.» Im Tonstudio spielte er die Instrumente ein und experimentierte dann am Computer, veränderte das Tempo und tüftelte.
Das Resultat dieser Forschungen und die praktische Umsetzung wird Andreas Spindler mit seinem Vater Wolfgang und seinem Bruder Thomas, der auf der Tar, einer Trommel, musiziert, gemeinsam mit vier weitern Musikern und zahlreichen Instrumenten am Samstag vorstellen.
Das Besondere an der Musik der Gotik, über die es so gut wie keine Notenaufzeichnungen gibt und die von Musiker zu Musiker weitergegeben wurde, sei die Improvisation. «Die Musiker damals konnten hervorragend improvisieren», sagt Andreas Spindler. Somit könne man die Musik durchaus als Jazz des Mittelalters bezeichnen. Obwohl sie wesentlich komplexer gewesen sei. «Es gab damals viel mehr Noten, die wir teilweise gar nicht mehr spielen können», sagt Wolfgang Spindler.
Und auch der Sprechgesang des Palästinalieds, dessen Melodie Walther von der Vogelweide wohl während des fünften Kreuzzugs unter Friedrich II. 1217 im arabischen Raum übernahm und mit seinen Texten unterlegte, erinnere schon an Rap. Auf die Wirkung beim Publikum sind die Musiker auf jeden Fall schon gespannt.