Endlich kommt auch kultureller Spaß in den Bundestagswahlkampf für 2013. Die CDU hat ihren Wahlkampfsong veröffentlicht. Ein Werk der politischen Verderblichkeit, Mindesthaltbarkeit schon vor Veröffentlichung abgelaufen. „An jedem neuen Tag“ ist der Titel des von Leslie Mandoki produzierten Pop-Kunstwerks und erinnert damit nicht ganz zufällig an den größten Kirchenschlager des letzten Jahrhunderts: Danke. Danke für dieses Pop-Stück, liebes CDU-Wahlkampfteam. Aber da steckt mehr dahinter als man meinen möchte.
Der akustische Himmel hängt tief, optisch und wortwörtlich, wenn die Sängerin (ohne Namen) diese Pop-Pretiose umrahmt von vier musikalischen Männern an den Instrumenten zu trällern sich anschickt. Das Tempo des Stücks ist gemäßigt, die Besetzung klassisch (mit Drums, Keyboards, E-Gitarre und –Bass). Die Mischung ist wie die großen Bilder am Straßenrand: plakativ.
Mischung und Text
Produzent Mandoki wird wohl auch abgemischt haben - eine akustische Klinge führend wie Dschingis Khan. Denn die Mischung ist keine Glanzleistung. Die vier Mitmusiker sind brav in die Ecke gedrückt, damit die in Seligkeit gealterte Sopranstimme der unbekannten Blonden die Botschaft transportieren kann. Also besser als Oper, was die Textverständlichkeit angeht. Es geht um dich und um uns, wir brauchen uns alle, auf keinen können wir verzichten, jeder neue Tag ist eine neue Herausforderung. So in der Art. Ein bisschen ziehen die Phrasen ohne Atem durch das Stück, roboterhaft und nur das locker fallende Haar der Sängerin kann dem an sich sinnlosen Buchstabensalat Kontur verleihen. Auch holt sie sich hin und wieder, selten Hilfe bei der Mimenkunst der deutschen Stummfilms („ich geb‘ dir meine Hand“ http://youtu.be/PWMMPjPOX9U?t=2m52s). Bei „Wir können es schaffen“ geht der Blick zuvor in die Höhe. Ein schlimmer Fehler des Wahlkampfchoreografen. Denn bekanntlich ist das CDU-Wir ein Merkel-Ich und ist weder riesengroß, noch sitzt sie schon im Himmel und ist nach Kanzler auch noch Gott. Oder ist da doch unterschwellig vom „höheren Wesen, das wir alle verehren“ die Rede?
Auch das plakativ, aber nichtssagend. Und damit ein Volltreffer, denn die normalen Zuhörer solcher Musik hören eh nicht auf den Text zumal es auch überflüssig ist. Es ist einfach ein Text, der nur wenig Platz lässt für Interpretationen – also jetzt so in sprachlich-philosophischer Hinsicht; aber was noch schwerer wiegt, auch nicht in choreografischer. Die vier Jungs haben es gut, sie können sich an den Instrumenten festhalten, der Text ist so einfach, dass auch der Schlagzeuger ihn spontan mitsingen kann.
Was zum Beispiel soll man zur ersten Zeile sagen: „Jeden Tag neu, beginnt unsere Welt.“ Jeden morgen muss ich auf das Klo / die Arbeit / in die Parteizentrale? „Gefühle, die mich treiben; Momente, die mich prägen. Gedanken, die da fliegen, Träume, die mich bewegen …“ Und mit dem Ergebnis: „Das ist, was ich will. Das ist, was ich mag.“ Schön für die unbekannte Sängerin, aber was zum musikalischen Teufel hat das mit dem Wahlkampf zu tun. Man hat sich was dabei gedacht. Denken wir an den SPD-Song aus dem Jahr 1998 zurück. Anne Haigis singt da: „Lass uns den neuen Tag beginnen, die Besten solln gewinnen“. Und wer machte schlussendlich das Rennen! Schröder mit Lafontaine und Fischer. Dass man auf derlei Taschenspielertricks zurückgreift, zeigt an: Man zittert und will jetzt den Wahlsieg. Jetzt und mit diesem Songchen.
Zurück zur Gestaltung der Gesangspartie. Den unbekannten Komponisten trifft hier die Schuld im Zusammenhang mit dem Textdichter. Man hat die Beschleunigung, die in der Bildung durch Bologna und G8 zur Wirkung kommen soll auch auf die Musik übertragen. Es ist so, als müsste alles Nichtssagende in zwei Takten abgehandelt werden, ein Gedanke, der über vier Takte ginge, scheint entweder den Autoren zu kompliziert oder scheint den Hörer nicht zumutbar zu sein: Beides nicht gerade tröstliche Varianten.
Rezeption
Man muss sich allerdings auch mit Fragen der Rezeptionsforschung befassen und die heißt hier: Für wen ist das gemacht? Herr Mandoki, für wen produzieren sie eigentlich? Für das CDU-Wahlteam, für die eigene Brut, für die Wechselwähler, für die alten, jungen und mittelmäßigen? Das YouTube-Volk, das sich das Video angeschaut ist nicht begeistert. Etwa 93 Prozent mögen es nicht, 7 Prozent heben den Daumen, diejenigen wohl, deren Soundkarte defekt ist oder zu gut. Aber wie gesagt: Das ist egal. Das unterirdische Bewusstsein bestimmt das Sein.
Urheberrecht und Künstlerbild
In der GEMA-Datenbank ist noch kein Eintrag zu finden. Der einzige relevante nennt Aloys Grass als Komponisten und Evelyn D Lewis als Textdichter. Es ist fraglich, ob dieser Vorgang auch rechtlich standhält. Denn entweder hat man einen richtigen Komponisten/Textdichter verpflichtet, dann birgt der angebotenen Download einige Unwägbarkeiten (insbesondere bei verlorener Wahl – dann kommt die Abmahnung und so). Oder es handelt sich um neben der Sängerin ebenso unbekannte Komponisten und Textdichter, die nicht Mitglied einer Verwertungsgesellschaft sind. Dann würde man sich aber durch deren Beschäftigung gegen die traditionellen Beschäftigungsmodelle der alten Kulturlandschaft Deutschlands stellen. Hey, macht die CDU Buyout-Verträge oder so? Wo bleibt die Ehre des Urhebers, warum werden die Musiker nicht beim Namen genannt. Geht man so mit seinen Künstlern um, ist das die Perspektive der Kulturpolitik der CDU?
Herr Neumann, übernehmen Sie – wenigstens in dieser Frage die Verantwortung. Also Künstler! Vorsicht wenn das CDU-Wahlteam vor der Tür steht und Euch einfach kaufen will. Das wollt ihr nicht, wirklich nicht.
Fazit
Man muss den Mut der CDU begrüßen mit dem sie sich aufs Parkett der Musik zubewegt. Es ist der Mut der Verzweiflung. Und es ist der Versuch, nach der schweigenden auch die taube Mehrheit hinter sich zu versammmeln.
Es gibt eine etwas ältere Variante des gleichen Songs, die gleichwohl stärker wirkt wiewohl kein Mandoki etwas dafür tat.
Nachtrag:
Es gibt einen Wahlaufruf, der wirklich ein bisschen sehr viel intelligenter ist. Also. wählengehen!