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Reduktion, gekrümmte Gestik: Christian Josts „Hamlet“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Komische Oper Berlin
Reduktion, gekrümmte Gestik: Christian Josts „Hamlet“ an der Komischen Oper Berlin. Foto: Komische Oper Berlin
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Christian Josts „Hamlet“ an der Komischen Oper Berlin als Psychogramm in Schwarz-Weiß

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Dem wohl meistgespielten, mit Sicherheit aber meist zitierten Drama der Weltliteratur, Shakespeares „Hamlet“, begegnet man auf der Opernbühne nur hin und wieder in der Vertonung von Ambroise Thomas. Der 1963 in Trier geborene Christian Jost hat die Übersetzung August Wilhelm Schlegels als sein fünftes Werk für das Musiktheater in „zwölf musikdramatische Tableaux“ eigenwillig eingerichtet und vertont. Hausherr Andreas Homoki inszenierte das von GMD Carl St. Clair geleitete Auftragswerk der Komischen Oper Berlin.

Warum der Komponist bisweilen auf die englischen Originaltexte zurückgreift, erschließt sich erst im letzten Tableaux; dann nämlich untermalt der Chor mit dem berühmten Monolog „To be or not to be“ die Schlussszene. Das „Sein oder Nichtsein“ erschien dem Komponisten offenbar als zu abgedroschen, um es überhaupt, und insbesondere seinen Hamlet, singen zu lassen. Jene Titelrolle, die schon Sarah Bernhardt auf der Bühne verkörpert hatte, wie es heute noch im Film zu erleben ist, komponierte Jost für Mezzosopran, um so deren Psychogramm nicht als ein „geschlechtsspezifisches Problem“ erscheinen zu lassen.

Die in sich abgeschlossenen Tableaux, in der Uraufführungsinszenierung zumeist, aber nicht immer konsequent, durch eine fallende Courtine von einander getrennt, besitzen einen jeweils eigenen Klangduktus. Ihre Abfolge ist nicht konsekutiv, und die Schauspieler, die im Auftrag Hamlets den hinterhältigen Mord an seinem Vater nachspielen, sind nun die Protagonisten selbst. Plastisch, bisweilen elektroakustisch verstärkt, wirken die Klänge zweier getrennt aufgestellter, ähnlich besetzter Orchestergruppen, die bisweilen auch in verschiedenen Zeitmaßen spielen und somit auch bewusst „klappern“.

Zu dem basslastigen, schlagwerkbetonten Orchester mit überblasenen Flöten, tritt ein quasi instrumental eingesetzter Chor aus dem Off. Kleine Motive und schwirrende Themen, abwechselnd in Streichern und Bläsern, werden wiederholt aufgegriffen. In Josts durchaus origineller, postmoderner Partitur erinnern Unisono-Bassfiguren an den späten Wagner, das mit dem Bogen gestrichene Tamtam an die Glasharfe bei Strauss, Jazzelemente an Schrekers Zeitoper „Christophorus“ und die clusterartigen Akkorde beim Tod Ophelias an die Todesakkordfolgen bei Berg.

Die vom Chor erzeugten „inneren Stimmen“ der Protagonisten, Flüster- und Echochöre, sorgen ebenso für Originalität wie die stets als Duett von Mezzosopran und Tenor geführten Partien von Rosenkranz (Caren van Oijen) und Güldenstern (Peter Renz), welche hier auch als „1. und 2. Clown“ in die Nonsens-Rollen der Totengräber schlüpfen. Ein auf Hamlets letztes Wort „entwerfen“ ausgedünnter, also quasi auf eine Entwurfsebene zurückgenommener, gedehnter a cappella-Schluss, bietet – nach verlöschendem Orchesterlicht – eine andere Form von „Rest ist Schweigen“.

Der Dramaturgie von Josts Komposition folgend, die im Schlusstableau den Anfang wieder aufgreift, unterliegt auch Wolfgang Gussmanns kühl ästhetischer Bühnenraum nur einer scheinbaren Veränderung: Eine weiße Wendeltreppe ohne Geländer, die sich wie ein Bohrer in den Keller (das Reich des Wassers und des Todes) schraubt, ist der Hauptspielort, ergänzt durch ein sich hydraulisch hebendes und senkendes, weißes Bühnenrund. Auch die Kostüme und Haare der handelnden Personen sind weiß, nur die Toten sind schwarz von Kopf bis Fuß, wie auch der gesanglich versechsfachte Geist von Hamlets Vater.

Regisseur Andreas Homoki hat den vom Komponisten intendierten Weg der Reduzierung weiter getrieben, mit gekrümmter Gestik der Protagonisten und einer Wiederkehr gleicher Bilder, so etwa bei den Leichen von Hamlets Vater und dem von Hamlet offen getöteten Polonius. Krieger und Leichenzug gestaltet der Regisseur ausschließlich mit den Gestalten des Totenreichs, wenn der klanglich stets immanente, von Robert Heimann einstudierte Chor spät doch noch als Lemuren ins Bild tritt.

Angesichts einer ungebrochen lebendigen Hosenrollen-Tradition wirkt ein weiblicher Hamlet kaum als Brechung. Die deutsch-griechische Mezzosopranistin Stella Doufexis interpretiert den Dänenprinzen mit Leidenschaft, aber wenig textverständlich, was jedoch angesichts der vor den Proszeniumslogen projizierten Gesangstexte kein wirkliches Problem darstellt. Die dramatische Sopranistin Gertrud Ottenthal als Königin Gertrud und der Bassist Jens Larsen als Claudio, mit einer Reihe von exzessiven Counterpassagen, schaffen prägnante Charakterisierungen. Eindringlich die Leistung von Karolina Andersson als Ophelia.

Carl St. Clair schafft seinem Composer in Residence mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin einen rhythmisch und polyphon ausgefeilten Triumph. Das Premierenpublikum des nicht ganz vollbesetzten Hauses zeigte sich aufgeschlossen für die Reise in Christian Josts psychoanalytische Klangwelt: intensive und ungetrübte Zustimmung für alle Beteiligten und den Komponisten.

Weitere Aufführungen am 27. Juni, 2., 7., 12. und 19. Juli.

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