Das Beste ist gerade gut genug – vor allem, wenn es um Musikunterricht für Kinder geht. Schließlich werden in jungen Jahren wesentliche Fundamente gelegt, die wichtig sind für ein ganzes Leben. Da tragen alle Pädagoginnen und Pädagogen im Bereich der musikalischen Bildung eine große Verantwortung. Wer sich speziell um das Unterrichten von Streichinstrumenten kümmert, kann auf viele erprobte Schulen zurückgreifen, könnte aber auch mal einen Blick in Europas hohen Norden werfen.
In Finnland nämlich wird seit über 40 Jahren eine Methode praktiziert, die erstaunlich erfolgreich ist und schon lange in vielen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern wie Kanada und Australien Verbreitung gefunden hat. Nur nicht in Deutschland. Noch nicht! Doch inzwischen regen sich Aktivitäten, „Colourstrings“ auch hierzulande noch viel bekannter zu machen. „Colourstrings“ - dies der Name jener Methode, die die beiden Musiker Géza und Csaba Szilvay entwickelt und in Helsinki zu unterrichten begonnen haben.
Géza Szilvay und seine Kollegin Yvonne Frye waren im September eingeladen, ein fünftägiges Colourstrings-Seminar zu geben – und dies in der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen, die bekanntlich vielfältige Angebote zur beruflichen Weiterbildung für Musikpädagoginnen und –pädagogen bereit hält. Die Resonanz war groß: 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Frankreich hatten sich auf den Weg in den Schwarzwald gemacht, um zu erfahren, wie Kinder im Alter von rund fünf bis acht Jahren für das Spiel auf der Geige zu begeistern sind.
Begeisterung jedenfalls herrschte, nachdem Colourstrings in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts im finnischen Fernsehen im Rahmen einer 56teiligen (!) Sendereihe vorgestellt wurde. Ein regelrechter „Geigenboom“ setzte damals ein, Streichinstrumente waren im Nu ausverkauft. Ein Strohfeuer? Keineswegs, denn Colourstrings zeitigte hörbar überraschende Ergebnisse; bald waren die Helsinki Junior Strings gegründet, ein Streichorchester, das bis heute weltweit Tourneen unternimmt.
Was ist das Besondere an Colourstrings? Zunächst dies: dass beim Erlernen eines so komplexen Instruments wie der Geige anfangs der Schwerpunkt nicht so sehr auf dem Erlernen und Lesen der üblichen Notenschrift liegt - sondern erst einmal auf dem Instrument selbst und seinem Klang, darauf, diesen Klang möglichst sauber und lebendig zu gestalten. Charakteristisch für Colourstrings sind deutlich sichtbar die vier verschiedenen Farben für die vier verschiedenen Saiten des Instruments, des weiteren einprägsame Figuren, beispielsweise für unterschiedliche Tonhöhen. Kurzum: farbige Symbole statt traditioneller Notenschrift: „Colour“-Strings!
Erziehung zur Musikalität - so könnte man die grundsätzliche Prämisse bei Colourstrings umreißen. Da wird von der ersten Stunde an die Unabhängigkeit der Finger mit Pizzicato-Übungen trainiert. Und ganz besonderes Augenmerk gilt dem Flageolett! Das ist sauber nur zu erreichen, wenn die Finger punkt-, ja millimetergenau die Saiten treffen. Flageolett zu spielen fördert eine freie Haltung der linken Hand, weil von Anfang an große und zielgenaue Bewegungen gefordert sind. In den meisten herkömmlichen Violinschulen kommt dieses Flageolett erst spät an die Reihe. Géza Szilvay aber hat es an den Anfang der Colourstrings-Methode gesetzt. So wird auch die Sensibilität der Kinder für sehr genaues Hören geweckt. Ergebnis: eine saubere Intonation durch alle Tonarten hindurch. Denn auch das Transponieren gelingt wie selbstverständlich dank des Mittels der Relativen Solmisation in Verbindung mit dem „inneren Hören“, sprich: der Fähigkeit, eine genaue Klangvorstellung zu entwickeln, schon bevor der Bogen die Saite berührt.
Ganz generell zielt Colourstrings darauf ab, Musik als Sprache zu verstehen, sie durch instrumentaltechnisches Können zu erlernen und sich mit ihrer Hilfe ausdrücken zu können. Dass dies äußerst eindrucksvoll gelingt, belegten etliche Videosequenzen aus der finnischen Colourstrings-Werkstatt, die Yvonne Frye und Géza Szilvay während ihres Seminars in der Trossinger Akademie gezeigt haben. Selbst rhythmisch und harmonisch komplexe Gebilde wurden von Kindern mühelos bewältigt. Wobei es den „Vätern“ von Colourstrings nirgends darum geht, etwa eine musikalische „Elite“ oder lauter kleine Geigen-Stars heranzuzüchten. Im Gegenteil: anspruchsvolles Musizieren auf hohem musikalischem Niveau soll zugänglich sein für alle Menschen, ganz gleich aus welchen sozialen Schichten sie kommen. Am East Helsinki Music Institut wird diese Idee seit Jahren umgesetzt. Davon profitiert das kulturelle Leben in ganz Finnland, ablesbar daran, welchen Stellenwert etwa die klassische Musik im öffentlichen Leben, in der Presse und im Fernsehprogramm hat.
Colourstrings kann Vorbildcharakter auch im deutschsprachigen Raum bekommen, wo der Bedarf an umfassend und ganzheitlich ausgerichteten Lehr- und Lernmethoden durchaus noch nicht genügend gedeckt ist.
„In meinem Alltag beim Unterrichten gab es so viele Löcher – die sind jetzt gefüllt“, meinte einer höchst zufriedenen der Seminarteilnehmer nach fünf äußerst intensiven Colourstrings-Tagen. Und weiter: „Es ist einfach genial, wie hier von Anfang an mit den Kindern wirklich Musik gemacht wird – und genau darum geht es uns Musikpädagogen doch!“ In Trossingen waren es die Pädagoginnen und Pädagogen selber, die in die Kinderrolle schlüpften und an denen Géza Szilvay deutlich machen konnte, wie Colourstrings ganz praktisch umgesetzt wird. Da stand ein Vollblut-Musiker vor „seinem“ Orchester, ein impulsiver Lehrer, dessen ansteckender Begeisterung für tief empfundene Musik sich niemand entziehen konnte. Im Gegenteil: Szilvays Temperament und Feuer sprang unmittelbar über. Vor allem wurde sehr schnell spürbar, wie fantasievoll und kindgerecht das Erlernen eines Streichinstruments mit Colourstrings möglich ist.
Nun ist es an den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Trossinger Seminars, ihre Erfahrungen mit der Colourstrings-Methode in den beruflichen Alltag einzubringen und sozusagen an der Basis zu vermitteln. Wer neugierig geworden ist auf das Unterrichtskonzept, kann einen Workshop an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin vom 13. bis 15. Oktober 2011 besuchen - oder in Colourstrings hineinschnuppern, wenn Yvonne Frye vom 18. bis 20. Mai 2012 in der Kolping-Bildungsstätte in Coesfeld mit der Methode vertraut macht. In Trossingen – dies wurde unmittelbar nach Ende des Seminars bereits geplant – soll vom 10. bis zum 14. September 2012 erneut eine gründliche Einführung angeboten werden.