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Cry Baby

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Was die Musik angeht, bin ich kein besonders großer Fan der Digitalisierung. Bereits die Abkehr von der Röhre hin zur Transistorenschaltung ließ erahnen, was Jahre später die CD bringen würde. Stöpselte ich eine meiner E-Gitarren in einen Transistorverstärker, kamen mir fast immer die Tränen, weil es sich eher so anhörte, als würde ich Rasen mähen. Und ich hab’ ja gar keinen Rasen. Zumindest keinen, den ich mähen muss. Nochmal später baute man Verstärkerschaltungen digital nach. So genannte Amp-Simulationen. Ich konnte als Gitarrist wählen, ob ich „Smoke on se water“ über einen virtuellen Marshall-Stack mit einem 4*12-Lautsprecher-Kabinet spielen wollte, oder doch nur mit einem kultigen VOX 30, den die meisten heute nur noch vom Hörensagen kennen. Jahrelang hat man gerätselt und rumprobiert, wie Jimi Hendrix seine Stratocaster so zum klingen brachte, wie sie klang. Heute nehme ich ein Effektgerät, wähle ein bestimmtes Preset und sofort stehe ich auf der Bühne von Hendrix’ „The Band Of Gypsys“ und spiele das Intro von „Voodoo Chile“ nach. Oder bilde es mir zumindest ein. Dazu brauch’ ich nicht mal Jimis Cry Baby-Wah, denn wozu hat mein Preset ein Auto-Wah? Besonders kreativ hört sich das allerdings nicht an. Isses auch nicht. In der ersten Reihe meldet sich sofort ein junger Mann und stellt spitzbübisch die Frage, ob es denn überhaupt um Kreativität geht.

Ob es nicht wie immer primär darum geht, zu verkaufen. Ein intelligentes Bürschle. Ich gebe die Frage zur Diskussion frei und eine muntere Debatte über die Genese musikalischer Ideen und den Sinn von Fortschritt im Allgemeinen und im Speziellen beginnt. Doch lassen wir den Nachwuchs unter sich und gehen weiter.

Im Bereich des passiven Musikkonsums ist alles noch viel, viel schlimmer. Die CD war nur der Einstieg in die digitale Verkrüppelung von Klang. War ich zunächst ganz begeistert von der glasklaren Reinheit des CD-Sounds, ging mir dieses aseptische und nach Desinfektionsmitteln riechende Ambiente schon bald mächtig auf den Sack. Mein Plattenspieler bekam wieder seinen angestammten Platz und sogar einen neuen Diamanten. Tja, und das Internet hat aus der Musik – zumindest aus der populären – ein komprimiertes, runzliges Etwas gemacht, einen zu 99 Cent handelbaren Wirtschaftsfaktor, der der maroden Musikindustrie wieder auf die Beine helfen soll. Wie lächerlich.

Mal ganz abgesehen davon, dass die Qualität nur als minderwertig bezeichnet werden kann. Im Bereich der aktuellen Popmusik mag das wurscht sein, denn deren minderjährige und unter Essstörungen leidende Konsumenten ist das sowieso egal. Außerdem kennen sie es nicht anders. Aber wenn ich ein paar meiner musikalischen Lieblinge in mp3s konvertiere, bin ich immer wieder überrascht wie Scheiße das klingt. Selbst wenn ich eine höhere Qualität als die bei den 99 Cent-Krüppeln üblichen 128kbit wähle. Man höre sich beispielsweise nur mal die Becken eines Schlagzeugs (das sind diese bronzefarbenen Topfdeckel, die über dem Kopf des Schlagzeugers hängen) oder ein perlendes E-Piano in der Originalkonserve und dann als mp3 an. Grauenhaft. Da reg’ ich mich jedes Mal drüber auf, wenn ich mit meinem iPod auf dem Klo hocke.

Wie? Was? iPod? Hier über Digitalisierung und Verkrüppelung gottgegebener Laute rumproleten und dann heimlich mit dem mp3-Player kacken gehen. Ja geht’s denn noch?
Äh, na ja, bin ich halt günstig dran gekommen.

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