Lange Zeit bewegte sich nichts in Sachen Transparenz beim Transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (kurz TTIP). Unwissenheit und mehr noch Ungewissheit sind, wie haben es in den letzten Monaten in Sachen NSA und andere Spionagevorgänge in Deutschland gesehen, keine guten Ratgeber. Die Verhandlungen um TTIP standen dem bislang in nichts nach. Und obwohl es mittlerweile neun Verhandlungsrunden gab (die 10. folgt im Juli), kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass der Sektor Kultur von den Liberalisierungsentwicklungen des allgemeinen Freihandels ausgenommen werden kann.
Der Deutsche Kulturrat haut seit gut einem Jahr deshalb intensiv auf die Pauke und initiierte einen „Tag gegen TTIP“. Dazu veranstaltete er in seinen neuen Versammlungsräumen (übrigens in direkter Nachbarschaft zu einer noch existierenden Einrichtung des BND) eine Fachtagung, die vor allem der Informationsbeschaffung dienen sollte.
Zum Bericht über den aktuellen Stand der Verhandlungen war Heinz Hetmeier, Leiter des Referats Allgemeine Handelspolitik (EU/WTO), Dienstleistungen, Geistiges Eigentum im Bundeministerium für Wirtschaft und Energie geladen. Hetmeier sagte, dass man auf einen Abschluss in naher Zukunft wohl dränge, erfahrungsgemäß aber wenigstens vier Jahre nötig sein werden, bis der Vertrag stehe. Die Bundeskanzlerin dränge zwar sehr, aber ihr Wunsch, das bis Ende des Jahres in halbwegs trockenen Tüchern zu haben, sei unrealistisch. In Bereich Kultur betonte Hetmeier, dass TTIP von deutscher Seite nicht unterschrieben werde, wenn damit kulturelle Bereiche betroffen werden würden. Die Ziele des Wirtschaftsministeriums formulierte er so: 1. Kulturelle Vielfalt erhalten; 2. Kulturfördersystem erhalten; 3. Buchpreisbindung erhalten; 4. keine Verpflichtungen eingehen im Bereich audiovisueller Medien (Fernsehen, Kino etc.) und 5. die Verwertungsrechte in der EU belassen und keine paneuropäischen Lizenzen einführen. Als Blaupause diene, so Hetmeier, das jetzt weitgehend ausgehandelte Abkommen zwischen Kanada und der EU (CETA). Auch hier sei es gelungen, Fragen der Kultur zufriedenstellend zu lösen.
Die etwa 90 zuhörenden Teilnehmer der Fachtagung konnte dies aber nicht so recht beruhigen. Zum einen tendierten manche Bereiche aus dem engeren Kulturbegriff heraus, beziehungsweise in andere hinein. Die Bereiche konvergieren, die Dinge lassen sich nicht mehr so einfach den Punkten Dienstleistung, Daseinsfürsorge oder Ware zuordnen. Was für uns Rundfunk ist, ist für die andere Seite bereits Telekommunikation und wäre dann eben doch Gegenstand von Verhandlungen bei TTIP (wenn beispielsweise Filme in digitale Mediatheken eingestellt würden). Auch bei E-Books ist diese Frage offen. Die digitale Ökonomie frisst sich in die traditionellen Medien hinein. Und: Die EU besteht ja nicht allein aus Deutschland. Das heißt: Man fragt sich wie maßgeblich sind Feststellungen zum Thema Kultur, die Minister Sigmar Gabriel formuliert hat, tatsächlich?
Das berührt auch die rechtliche Einschätzung dessen, was zur Sicherung der Kultur vor seiner Liberalisierung durch freien Handel erscheint. Ins Feld geführt wird hierbei die Unesco-Konvention zum Erhalt der kulturellen Vielfalt, die von allen Mitgliedern der EU unterzeichnet worden ist. Der Rechtswissenschaftler Hans-Georg Dederer, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau stellte auf der Fachtagung dar, welche rechtliche Bedeutung dieses Konvention für die Verhandlungen zu TTIP von europäischer Seite aus habe. Das Ergebnis ganz kurz und pointiert: Keine. Die USA hat – im Gegensatz zu Kanada – diese Konvention nicht unterschrieben und muss sich daher auch an dessen Vorgaben nicht gebunden fühlen. Doch auch für die EU-Seite ist die Unesco-Konvention letztlich nicht bindend: Sie soll bei Verhandlungen „berücksichtigt“ werden, mehr aber auch nicht. Und auch das Mandat, das man der verhandelnden EU-Kommission erteilt hat, eben diese Konvention zu berücksichtigen, ist keinesfalls eine bindend.
Die deutschen Wirtschaftspolitiker, die auf dem abendlichen Panel zum Thema geladen waren, Matthias Machnig (Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Handel) und Bernd Lange (Vorsitzender des Ausschusses für Internationalen Handel des Europäischen Parlaments) wurden zwar nie müde zu betonen, dass die Kultur aus den Verhandlungen ausgenommen wird, denn sonst gäbe es keinen Vertragsschluss mit den USA, aber eine generelle Ausnahme konnte keiner der Politiker wirklich garantieren. Zumal, wie oben erwähnt, sich auch gar nicht so prinzipiell abgrenzen lässt, was im Zweifel unter Kultur firmiert. Die amerikanischen Big Player wie Google, Apple und Amazon verfolgen naturgemäß andere Ziele, nämlich die monopolistische Marktmacht – um welchen Preis auch immer, da ist Kultur nur eine Ware, die man sozusagen umgekehrt ausnehmen kann und muss. Dederer hält deshalb die Formel „uns kann nichts passieren“ für weltfremd. Ferner bedauert er die Intransparenz der Verhandlungsführung insgesamt. Daraus resultiere nämlich eine „notorische Ungewissheit“. Da zumal selbst die EU-Mitgliedstaaten ein Puzzle an Wünschen und Hoffnungen mit TTIP verbinden, darf als sicher gelten, dass nichts als sicher gilt. Da können die Politiker noch so beschwichtigend reden.
Unklar, aber nicht auf der Fachtagung thematisiert: Dass es möglicherweise Kulturbereiche gibt, die durchaus TTIP wohlgesonnen sein und einer engeren Zusammenarbeit positive Aspekte abgewinnen könnten: Dazu gehört der Bereich der Musikindustrie und die großen Plattenfirmen, die ihren Hauptsitz sowieso in den USA haben. Wenn dann der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Musikindustrie, Dieter Gorny, zugleich seit kurzem als Berater für „Kreative und digitale Ökonomie“ im Bundeswirtschaftsministerium sitzt, legt der Vorsichtsfaktor wieder um einige Prozent zu.
Für Olaf Zimmermann und den Deutschen Kulturrat kann das alles wenig beruhigend sein. Er befürchtet, dass im Sinne von Geben und Nehmen irgendwann doch heilige Kühe (wie die Buchpreisbindung) geopfert werden, damit ein Abschluss in anderen Bereichen gewährleistet werden könne. Das zeigt die Lebenserfahrung und sie zeigt gerade in letzter Zeit, was Politikerworte so wert sind.
Der Kulturrat und seine Verbände werden also weiter für „Kultur braucht kein TTIP“ trommeln. Die den Tag begleitenden Veranstaltungen waren allerdings teilweise einigermaßen schlecht besucht.