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Titelseite der nmz 2023/03
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Dackels Kern

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Juan Martin Koch über Kunst & Kritik
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Toll, die Kulturkritik hat es auf die Seite 1 der Bild-Zeitung geschafft! Zu früh gefreut: Es ging nicht um Kultur, sondern um den tätlichen Angriff des nach Vertragsauflösung nunmehr ehemaligen Ballettdirektors des Staatstheaters Hannover, Marco Goecke, auf die Ballettkritikerin Wiebke Hüster. Schlimm genug, dass der Choreograph der Journalis­tin die Hinterlassenschaften seines Hundes ins Gesicht schmierte – wie er hinterher seine Straftat relativierte und rechtfertigte, setzte dem Ganzen die ungeheuerliche Krone auf.

Im NDR-Interview stellte er Hüsters Texte mit seiner Attacke auf eine Stufe („für mich ist der eine Dreck der gleiche wie der andere Dreck“), in der 3sat-Kulturzeit warf er der Kritikerin „Gewalt“, „Mobbing“ und einen „Vernichtungsfeldzug“ vor. In geradezu klassischer Manier drehte er dabei die tatsächlichen Verhältnisse um: „Dass ich der Täter bin und sie das Opfer, ist einfach zu kurz gedacht.“

Diese beispiellose Eskalation reiht sich leider ein in zunehmende Versuche, kritische Kulturberichterstattung durch Einschüchterung und Herabwürdigung mundtot zu machen. Im vergangenen Herbst drohte das Kunstfest Weimar einem Autor mit der juristischen Keule (siehe nmz 10/2022), ein Jahr zuvor sprach Karin Beier, Intendantin des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, im Deutschlandfunk Kultur davon, dass Kritik „wie Scheiße am Ärmel“ kleben bleibe und schwadronierte über den „mächtigen Einfluss“ von Kritik und Medien, den sie „nicht so toll“ fände. Zum Spiel um Macht und Deutungshoheit gehört es überdies, wenn der eine oder andere Intendant (hier bewusst die männliche Form) über die Vergabe von Pressekarten zu steuern versucht, wer über Premieren berichtet und wer nicht.

In den Köpfen mancher Kunstschaffender und Kulturmanager*innen scheint sich gerade nach dem Corona-Knick die merkwürdige Mentalität breitzumachen, derzufolge die Presse vor allem dazu da sein solle, deren Arbeit untertänigst zu begleiten, um mit vollmundigen Ankündigungen und wohlwollender Nachberichterstattung Publikum anzulocken. Doch wenn Kunstkritik nur noch als verlängerter Arm der Marketingabteilungen öffentlich geförderter Institutionen fungiert, wertet das die Kunst selbst ab. Ohne kritische Reflexion verpufft diese im schalltoten Raum von Auslastungszahlen und Selbstlob. Letzteres stinkt bekanntlich.

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