Ist Kammermusik ein verzopft klingender, ein uncooler Begriff? Walter Lehmann vom Vorstand des Konzertvereins Kassel hat in einem Interview diese bemerkenswerte Vermutung getroffen. Deshalb änderte der Kammermusikverein vor drei Jahren seinen Namen in Konzertverein. Aber nicht nur die verbale Lockerheit der nordhessischen Musikenthusiasten berührt sympathisch, denn nun organisierten sie zum dritten Mal ein exzellentes Festival in der documenta-Halle. Für die Kasseler Klassikhörer, die anders als die dortige Jazzfraktion eher selten überregionale Künstler erleben, bedeutete das Musikfest mit dem französischen Motto „Moments Musicaux“ eine großartige erste Maiwoche.
In der documenta-Halle gastierten unter anderem die brillanten Bläser des Quintette Faust, das Quatuor Danel um den vor Energie sprühenden Geiger Marc Danel sowie Solisten wie Oliver Triendl und Mira Wang. Das Quatuor Diotima warb für den einst als französischen Beethoven titulierten Komponisten George Onslow, für den es sich auch mit einer sensationellen CD-Einspielung stark gemacht hat. Bekannt wurde das Quatuor Diotima jedoch durch Neue Musik, und so bot es – immer begrüßenswert – auch Werke des 20. und des 21. Jahrhunderts. Im Schlusskonzert traf die klangsinnliche, mithin konsensfähige Sprache von Henri Dutilleux („Ainsi la nuit“) auf die Kompromisslosigkeit von Mark Andre, dessen Streichtrio „...zu...“ die Toleranz konservativer Zuhörer auf eine gewiss schwere Probe stellte.
Für den Konzertverein nimmt ein, dass er mit großem Engagement ein junges Publikum für die Klassik gewinnen möchte. Schüler bis 18 Jahre konnten die Konzerte bei freiem Eintritt genießen. Zudem gab es mit dem Titel „Young Person’s Guide“ Einführungen in die Programme durch Kasseler Schülerinnen und Schüler. Und zu den Attraktionen des Festivals zählte die Preisverleihung des classic-clip-Videowettbewerbs.
Es ist eine innovative Idee, da man bei Videoclips ja vor allem an Lady Gaga oder Britney Spears denkt. Der Hegemonie der Popkultur wird mit ihren eigenen Mitteln etwas entgegengesetzt. Indem junge Kreative Bilder zur Klassik kreieren, lernen sie den Reiz des ihnen oft wenig bekannten Genres schätzen. Die Vorlage bildete das 1. Streichquartett des zeitgenössischen Weimarer Komponisten Mario Wiegand, eine schillernde Musik, die das Vogler Quartett im Vorjahr bei den Nordhessischen Kindermusiktagen uraufgeführt hat.
Der Konzertverein und der Verein QuArt@Kindermusiktage schrieben zwei Wettbewerbe aus, einen für Studenten sowie einen für Schüler der Mittel- und Oberstufe. Die Jurys unter dem Vorsitz von Prof. Joel Baumann und Bernhard Balkenhol (beide Kunsthochschule Kassel) bewerteten elf Schülerbeiträge aus Tschechien, Österreich und Kassel sowie sieben Studentenbeiträge aus ganz Deutschland.
Wie unterschiedlich ein und dieselbe Musik visualisiert werden kann, zeigte der Wettbewerb. Die mit dem zweiten Preis ausgezeichneten Schülerinnen der Klasse 8D des Kasseler Engelsburg-Gymnasiums und Lehrerin Kathrin Vogler fanden für den Scherzosatz aus Mario Wiegands Quartett eine beschwingte Bildersprache – da wird ein Cello gar von Geisterhand gespielt. Ganz anders deutete Jonas Ungar (Kassel), der in der Studentenkategorie den ersten Preis gewann, das Scherzo: als böse Naturszene mit einem Kampf von Spinne und Falter. Ein darwinistischer Walzer sozusagen.
Eindringlich wie ein Albtraum war das mit dem ersten Schülerpreis prämierte Video von Grazer Gymnasiasten. Via Skype erlebten sie die Preisverleihung, große Freude herrschte in der steirischen Schulklasse. Eine DVD mit den einfallsreichsten classic-clips kann man übrigens gegen eine Spende für das Projekt beim Konzertverein beziehen.